Aspekte, die besondere Aufmerksamkeit verdienen
Einige Entwicklungen in der Biomedizin haben Auswirkungen auf die Menschenrechte, die spezifische ethische Bedenken hervorrufen und diese Entwicklungen besonders problematisch erscheinen lassen.
Die öffentliche Diskussion In diesem Dokument und in Artikel 28 des Übereinkommens von Oviedo beschreibt der Überbegriff «öffentliche Diskussion» den diskursiven Austausch im öffentlichen Raum (ausserhalb des berufsbezogenen Kontextes), der es Einzelpersonen und Gruppen ermöglicht, unterschiedliche Interessen in Bereichen, die uns (potenziell) alle betreffen, auszumachen, zu erörtern und miteinander in Einklang zu bringen. kann sich im Zusammenhang mit Entwicklungen, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die einzelnen Menschen haben, als besonders wichtig erweisen. Hierbei kann es sich um Entwicklungen handeln, die außerhalb der bestehenden normativen Rahmenbedingungen liegen könnten, sowie um Entwicklungen, die unbekannte Risiken bergen oder die unvorhersehbare Konsequenzen für die Gesellschaft haben oder die bestimmte Gruppen übermässig stark betreffen.
Die Geschwindigkeit von Entwicklungen
Die Geschwindigkeit von Entwicklungen kann zu Rechtslücken führen. Solche können entstehen, wenn der Gesetzgeber Mühe hat, die Auswirkungen abzuschätzen und neue Bestimmungen in sich rasch entwickelnden technischen Bereichen zu erlassen. Dies schafft für alle Betroffenen Unsicherheit.
Im Falle von neuen Entwicklungen, bei denen man noch nicht über ausreichende Erfahrung verfügt oder deren Auswirkungen auf die Gesellschaft ungewiss sind, ist eine umfassende Prüfung der ethischen Aspekte erforderlich, um eine langfristige Strategie für deren kontrollierte und gesellschaftlich vertretbare Verwendung zu definieren.
Die öffentliche Diskussion kann einen wichtigen Beitrag zur Festlegung angemessener Normen leisten und als Orientierungshilfe für die Entwicklung von Governance In diesem Leitfaden bezieht sich «Governance» auf den verantwortungsvollen Umgang mit Macht oder Befugnissen, mit dem Ziel, Normen und Verhaltensweisen innerhalb von Systemen oder Organisationen festzulegen, zu überwachen und durchzusetzen. Es kann sowohl darum gehen, das Verhalten der Menschen zu lenken sowie auch darum, sicherzustellen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden. Die Gouvernanz kann durch verbindliche und nicht verbindliche Massnahmen (gesetzliche Bestimmungen, Zertifizierungen, Berufsstandards, Verhaltenskodizes, Empfehlungen usw.) zum Tragen gebracht werden. Bei den Gouvernanz-Akteuren kann es sich um Akteure aus dem öffentlichen sowie dem privaten Sektor handeln. dienen.
Möglichkeiten von Data-Mining
Der Einsatz digitaler Technologien ermöglicht Data-Mining. In Kombination mit neuen biomedizinischen Technologien kann dies den Schutz der Privatsphäre und der Autonomie des Individuums in verschiedener Hinsicht gefährden. Für den Einzelnen kann es schwierig sein, den komplexen eigenen Datenstrom nachzuvollziehen, fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie all diese Informationen genutzt oder verbreitet werden, und somit autonom zu agieren.
Biomedizinische Innovationen stützen sich immer stärker auf umfangreiche und detaillierte Datensätze, die oft auf unterschiedlichen Quellen basieren. Das Zusammenführen grosser Datensätze ermöglicht mitunter eine Re-Identifizierung der jeweiligen Person.
Die grosse Menge und Vielfalt an Daten sowie die Möglichkeiten von Data-Mining, welche die zahlreichen biomedizinischen Technologien eröffnen, erfordern den Schutz vertraulicher Daten, die Information der Öffentlichkeit und eine Diskussion über die Risiken moderner Technologien sowie die mit ihnen in diesem Kontext verbundenen Chancen.
Neue Bedingungen für den Zugang zu Gesundheitsversorgung
Biomedizinische Innovationen können zwar das Krankheitsrisiko verringern oder Symptome lindern, sie können die Menschen aber auch dazu zwingen, neue Bedingungen zu akzeptieren, um in den Genuss von Gesundheitsversorgung zu kommen. Beispielsweise könnten Gentests in Zukunft zur Erstellung standardisierter oder vollständiger Genomdatensätze führen und die Aufbewahrung all dieser Daten als Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen betrachtet werden. Durch die Speicherung der Genomdaten einer Person wird jedoch Wissen archiviert, das im Zuge wachsender wissenschaftlicher Erkenntnisse genutzt werden könnte, um die Prädisposition dieser Person für eine Krankheit oder gar bestimmte Verhaltensweisen in Erfahrung zu bringen. Die Weigerung, solche Daten weiterzugeben oder zu generieren, könnte zum Ausschluss aus der Gesundheitsversorgung führen und einer Person den Zugang zum bestmöglichen Versorgungsniveau verwehren.
Die Einführung neuer Technologien im medizinischen Bereich kann zu neuen Bedingungen für den Zugang zu Gesundheitsversorgung führen. Dies verdient eine breite öffentliche Diskussion, damit faire und angemessene Normen geschaffen werden können.
Unsicherheiten hinsichtlich der bestehenden Regelungen
Biomedizinische Entwicklungen können zu einer Verwischung und Infragestellung der normativen Grenzen führen. Sie sind schnell von einem Anwendungsgebiet auf ein anderes übertragbar und somit von unterschiedlichen Regulierungsregimen abhängig. Ferner können sie auch zu Unklarheiten bei der Umsetzung regulatorischer Massnahmen führen, so zum Beispiel in Bezug darauf, ob eine bestimmte Anwendung medizinischer oder nichtmedizinischer Natur ist oder ob diese eine Verbesserung der therapeutischen Wirksamkeit bringt oder nicht.
Kommen beispielsweise Produkte für nicht medizinische Zwecke auf den Markt, gelten diese nicht als Medizinprodukte und fallen daher möglicherweise nicht unter die existierenden Bestimmungen für Medizinprodukte. Ein Beispiel für eine Technologie, bei der die Rechtslage im Zusammenhang mit den gelieferten Ergebnissen unklar ist, ist der sogenannte «Direct-to-Consumer»-Gentest, bei dem Informationen zu gesundheitsrelevanten genetischen Prädispositionen ausserhalb des Kontextes der Gesundheitsversorgung und darüber hinaus ohne angemessene Beratung weitergegeben werden.
Wenn neue Technologien in neuen Anwendungsbereichen zum Einsatz kommen, kann die öffentliche Diskussion dazu beitragen, das Bewusstsein für entstandene Unsicherheiten zu schärfen und die neuen Anwendungen in entsprechende Rahmenbedingungen einzubetten.
Unsicherheit hinsichtlich der Risiken von Innovationen
Biomedizinische Innovationen können sowohl vorhersehbare wie auch unvorhersehbare Risiken bergen. Gewisse biomedizinische Entwicklungen können erhebliche Unsicherheiten mit sich bringen. Entweder, weil die Art der Risiken nicht mit zuverlässigen Methoden ermittelt wurde oder weil kein klarer Konsens darüber besteht, wie diese Risiken beschrieben oder beurteilt werden sollen. In solchen Situationen kann eine angemessene Reaktion darin bestehen, den Beurteilungsprozess bei neu aufkommenden biomedizinischen Technologien zu erweitern. Dies könnte über die Berücksichtigung unterschiedlicher Blickwinkel, die Prüfung von Alternativen und die Betrachtung von bestimmten Aspekten wie der Irreversibilität erfolgen.
Die öffentliche Diskussion kann dazu beitragen, die verschiedenen Auswirkungen und unvorhergesehenen Folgen sichtbar zu machen und die unterschiedlichen Betrachtungsweisen verschiedener Personen aufzeigen.
Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Normen und die Frage der Gleichheit
Die Nutzung biomedizinischer Entwicklungen kann zu tiefgreifenden Veränderungen der gesellschaftlichen Normen führen. Es ist gut möglich, dass deren Auswirkungen vor der Anwendung entsprechender Technologien im Gesundheitswesen nicht antizipiert wurden. Solche Entwicklungen können sich für verschiedene Gruppen auch auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung auswirken.
Die routinemässige pränatale Diagnostik in Verbindung mit unkomplizierteren Schwangerschaftsabbruchmöglichkeiten ging beispielsweise in einigen Gesellschaften mit einer signifikant rückläufigen Zahl der Geburten von Kindern mit Trisomie 21 einher. Der breitere Zugang zu dieser Technologie kann einen potenziell signifikanten Einfluss auf die Erwartungen schwangerer Frauen haben und das Risiko für Ausgrenzung von Menschen mit Down-Syndrom erhöhen. Kommen die durch Innovationen entstehenden Nutzen nicht allen im selben Umfang zugute, kann dies zu einer Verstärkung bzw. Verschärfung der bereits vorhandenen sozialen und allgemeinen Ungleichheiten führen und sich schleichend sowohl negativ auf die Menschen wie auch auf die jeweilige Gesellschaft auswirken.
Es gibt gute Gründe, die Öffentlichkeit in die Diskussion über biomedizinische Entwicklungen einzubeziehen, die zu Veränderungen der gesellschaftlichen Normen führen können und für bestimmte Gruppen Risiken für eine wachsende Ungleichheit und Marginalisierung bedeuten.
Die öffentliche Diskussion kann helfen, geeignete und akzeptable Mechanismen zum Schutz von Minderheiten zu finden und den gleichberechtigten Zugang zu neuen biomedizinischen Entwicklungen zu gewährleisten.