Glossar
Da die öffentliche Diskussion zu einem beruflichen Tätigkeitsfeld geworden ist, haben sich in diesem Bereich auch spezifische Konzepte und Begriffe entwickelt, von denen jedoch viele umstritten sind oder von unterschiedlichen Präferenzen und Engagements zeugen. Im Folgenden handelt es sich nicht um abschliessende Begriffsdefinitionen. Es wird lediglich erläutert, wie bestimmte und potenziell unklare Begriffe in diesem Leitfaden verwendet werden.
Bürgerin/Bürger
Natürliche Person, die den Gesetzen und der Politik eines Staates unterliegt und durch diesen geschützte Rechte geniesst. Bei zusammengesetzten Begriffen, wie zum Beispiel «Bürgerversammlung», ist die Bedeutung von «Bürgerin/Bürger» breiter gefasst als die eigentliche enge Definition für eine Person, die im Besitz einer bestimmten Staatsangehörigkeit oder des Wahlrechts in diesem Staat ist.
Deliberationsverfahren
Verfahren, die auf einem fortwährenden diskursiven Austausch beruhen, bei dem die Teilnehmenden eine Frage von gemeinsamem Interesse erörtern, indem Informationen geteilt, Fakten geprüft und eine von gegenseitigem Respekt geprägte argumentative Auseinandersetzung stattfindet.
Dialog
Der «öffentliche Dialog» ist eine Form der Interaktion/Diskussion zwischen Fachpersonen, politischen Entscheidungsträgern und Nichtfachleuten, an der die Teilnehmenden sich zuhören und aufeinander eingehen und die unter Voraussetzungen stattfindet, mit denen ein Macht- und Wissensgefälle verhindert werden soll.
Diskussion
Jede diskursive Aktivität, die es mehreren Gruppen oder Einzelpersonen ermöglicht, miteinander zu interagieren, um mittels Darlegung von Fakten, Argumenten und Wertvorstellungen ihre unterschiedlichen Standpunkte und Interessen auszumachen, zu erörtern und miteinander in Einklang zu bringen. In vorliegendem Dokument ist das allgemeinere Konzept der «Diskussion» von der formellen Diskussion zwischen zwei gegnerischen Parteien über einen von einer der beiden Parteien eingebrachten Vorschlag zu unterscheiden (siehe auch «öffentliche Diskussion»).
Öffentliche Diskussion - Aktivität
Eine organisierte und in ihrer Tragweite begrenzte Aktivität, die darauf ausgerichtet ist, die öffentliche Diskussion zu einem bestimmten Thema anzuregen und zu unterstützen, in der Hoffnung, dass sie die Politikentwicklung oder die Gouvernanz durch fundierte Informationen stützen bzw. beeinflussen wird.
Öffentliche Diskussion - Begriff
In diesem Dokument und in Artikel 28 des Übereinkommens von Oviedo beschreibt der Überbegriff «öffentliche Diskussion» den diskursiven Austausch im öffentlichen Raum (ausserhalb des berufsbezogenen Kontextes), der es Einzelpersonen und Gruppen ermöglicht, unterschiedliche Interessen in Bereichen, die uns (potenziell) alle betreffen, auszumachen, zu erörtern und miteinander in Einklang zu bringen (siehe auch «Diskussion»).
Governance
In diesem Leitfaden bezieht sich «Governance» auf den verantwortungsvollen Umgang mit Macht oder Befugnissen, mit dem Ziel, Normen und Verhaltensweisen innerhalb von Systemen oder Organisationen festzulegen, zu überwachen und durchzusetzen. Es kann sowohl darum gehen, das Verhalten der Menschen zu lenken sowie auch darum, sicherzustellen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden. Die Governance kann durch verbindliche und nicht verbindliche Massnahmen (gesetzliche Bestimmungen, Zertifizierungen, Berufsstandards, Verhaltenskodizes, Empfehlungen usw.) zum Tragen gebracht werden. Bei den Governance-Akteuren kann es sich um Akteure aus dem öffentlichen sowie dem privaten Sektor handeln.
Initiator
Person, die sich für die Führung einer öffentlichen Diskussion einsetzt («Veranlasste oder spontane Diskussion/Initiative»). Der Initiator, der üblicherweise die notwendigen Ressourcen für eine Aktivität zur Verfügung stellt oder liefert, kann Fachleute hinzuziehen, damit diese die Aktivität in Gang bringen oder sie in seinem Namen erfolgreich durchführen.
Veranlasste oder spontane Diskussion/Initiative
Bei einer organisierten bzw. veranlassten Diskussion lädt eine zuständige Behörde die Mitglieder der Öffentlichkeit ein, sich an einer Diskussion zu einem von ihr vorab definierten Zweck zu beteiligen. Bei einer spontanen Initiative legen die Mitglieder der Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Standpunkte gegenüber einer zuständigen Behörde mit dem Ziel dar, eine Veränderung herbeizuführen.
Konsultation
Erhebung von qualitativen Informationen im Hinblick auf die Änderung oder Bestätigung einer projektierten Massnahme, die in den Verantwortungsbereich des Initiators fällt. In der Regel geht es darum, ein breites Spektrum an Meinungen einzuholen. Es kann sich um eine öffentliche Konsultation (insbesondere bei Fragen zu politischen Massnahmen, von denen möglicherweise indirekt die gesamte Gesellschaft betroffen ist) oder um eine Konsultation von bestimmten Zielgruppen oder Einzelpersonen mit spezifischen Interessen, Kenntnissen oder spezifischem Fachwissen handeln. Die angesprochenen Personen entscheiden selbst über ihre Teilnahme.
Mitgestaltung
Gestaltung und Festlegung eines Prozesses durch die Teilnehmenden, die entweder mit Hilfe eines Koordinators zusammenarbeiten oder mit dem Initiator der öffentlichen Diskussion verhandeln.
Öffentlicher Raum
Der Raum, in dem die öffentliche Diskussion stattfindet; eine theoretische Kommunikationsumgebung, in der Privatpersonen gemeinsam gesellschaftliche Fragen, die sie alle betreffen und die einen Einfluss auf die Politik haben, formulieren und diskutieren können. In der Praxis kann der öffentliche Raum durch Institutionen (beispielsweise soziale und politische Institutionen) und durch die Medien getragen werden.
Öffentlichkeit/Öffentlichkeiten
Viele Fachpersonen der Sozialwissenschaften und Personen, die die Beteiligung der Öffentlichkeit fördern wollen, bevorzugen den Plural «Öffentlichkeiten» gegenüber dem Singular «Öffentlichkeit». Damit soll der Eindruck vermieden werden, dass es sich jeweils um eine einzelne homogene Gruppe handelt oder dass «die Öffentlichkeit» auch unabhängig von den jeweiligen Fragestellungen existiert.
Qualitative/quantitative Verfahren
Bei quantitativen Verfahren werden aus gesammelten Informationen Zahlenwerte generiert (beispielsweise die Anzahl oder der Prozentsatz an Personen, die auf eine Frage mit einer bestimmten Antwort reagiert haben);
Qualitative Verfahren liefern diskursive Informationen und ermöglichen im Allgemeinen über Befragung und ein kritische Auseinandersetzung eine eingehende Prüfung der untersuchten Phänomene.
Repräsentativität
Eine «veranlasste» Diskussion lässt sich dergestalt organisieren, dass die Teilnehmenden, nach Massgabe bestimmter Merkmale (zum Beispiel soziodemografische Merkmale), ein repräsentatives Bild der Gesamtbevölkerung oder einer bestimmten Untergruppe der Bevölkerung ergeben. Die richtige Grösse einer Stichprobe, Kriterien für die Repräsentativität und die Bedeutung, die sich «repräsentativen» Ergebnissen zuschreiben lässt, setzen alle eine vertiefte kritische Auseinandersetzung voraus.
Teilnehmende
Sowohl die öffentliche Hand wie auch Sachverständige und Bürgerinnen und Bürger können als Teilnehmende einer öffentlichen Diskussion betrachtet werden.