Wie lauten die Ziele?
Sobald die Beweggründe für die Anregung einer öffentlichen Diskussion In diesem Dokument und in Artikel 28 des Übereinkommens von Oviedo beschreibt der Überbegriff «öffentliche Diskussion» den diskursiven Austausch im öffentlichen Raum (ausserhalb des berufsbezogenen Kontextes), der es Einzelpersonen und Gruppen ermöglicht, unterschiedliche Interessen in Bereichen, die uns (potenziell) alle betreffen, auszumachen, zu erörtern und miteinander in Einklang zu bringen . geklärt sind, stellt sich die Frage, wie die konkreten Ziele dieser Diskussion lauten. Welche Ergebnisse sind zu erwarten und welcher Nutzen soll für wen erreicht werden? Auch hier kann es, je nach beteiligten Stakeholdern, mehr als ein Ziel und unterschiedliche Nutzen geben.
Information der Öffentlichkeit
Ziel einer öffentlichen Diskussion kann es sein, über neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Biomedizin zu informieren, eine Diskussion anzuregen oder die Grundlagen für weitere Konsultationen oder Partizipation zu schaffen sowie einen Dialog in Gang zu bringen, der die Politikentwicklung durch fundierte Informationen zu unterstützten vermag. Dies kann auch ganz allgemein zu einem verstärkten öffentlichen Engagement führen.
Bei der öffentlichen Diskussion sollte es nicht nur um die Aufklärung der Öffentlichkeit Viele Fachpersonen der Sozialwissenschaften und Personen, die die Beteiligung der Öffentlichkeit fördern wollen, bevorzugen den Plural «Öffentlichkeiten» gegenüber dem Singular «Öffentlichkeit». Damit soll der Eindruck vermieden werden, dass es sich jeweils um eine einzelne homogene Gruppe handelt oder dass «die Öffentlichkeit» auch unabhängig von den jeweiligen Fragestellungen existiert. über Fragen der Biomedizin gehen, sondern auch darum, die Wechselwirkung zwischen biomedizinischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Vorstellungen und Werten zu erörtern. Eine Diskussion auf dieser Ebene ermöglicht es, potenzielle Ungleichgewichte in Bezug auf Wissen und Einfluss, die bei einem Austausch zwischen der Öffentlichkeit und Sachverständigen oder politischen Entscheidungsträgern zutage treten können, auszugleichen.
In den meisten Staaten spielen die Medien bei der Kompetenzbildung und der Verbreitung von Informationen eine führende Rolle. Dies gilt auch bei der Berichterstattung über Fortschritte in der biomedizinischen Forschung, bei Behandlungsmethoden sowie bei biomedizinischen Technologien und Anwendungen. So werden neue Erkenntnisse in verständlicher Art und Weise mit aktuellen Ereignissen und Themen in Zusammenhang gebracht und neue Informationen und Fachkenntnisse vermittelt.
Die freie Presse spielt in der Gesellschaft (als «vierte Gewalt») eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Manipulation von Informationen aufzudecken, Bestehendes zu hinterfragen und neue Erkenntnisse zu bewerten. Die öffentlichen Medien erreichen eine Vielzahl von Menschen, berichten aber in der Regel auch aus einem bestimmten «Blickwinkel» und versuchen oft, emotionale Reaktionen hervorzurufen. Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, dass sie bestimmte Entwicklungen aufbauschen oder ein falsches Bild vom Grad technischer Unwägbarkeit vermitteln. Ihre Bedeutung als Informationskanal ist jedoch bei der Einbindung der Öffentlichkeit zentral und sollte nicht unterschätzt werden.
Die sozialen Netzwerke können die Funktion der öffentlichen Medien einerseits unterstützen und erweitern, andererseits aber durch die Schaffung von «Informationsblasen» oder selbstreferenziellen «Echoräumen» auch leicht Vorurteile verstärken und Fehlinformationen fördern und Letztere gar selber verbreiten. Sie sind auch insofern einschränkend als dass sie nicht allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu denselben Informationen ermöglichen, da die jeweiligen Diskussionsgruppen in den sozialen Netzwerken in der Regel nur für ihre eigenen Mitglieder zugänglich sind.
Die in der biomedizinischen Forschung tätigen Personen spielen eine wichtige Rolle bei der Information der Öffentlichkeit über die Entwicklungen auf ihrem Gebiet. Der Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft zu stärken und hilft den Wissenschaftlern, ihre Forschung im Einklang mit den Interessen und Werten der Gesellschaft weiterzuverfolgen. Sachverständige müssen jedoch auch oft gezielt geschult werden, damit sie ihre Arbeit Nichtfachleuten vermitteln können. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit (zum Beispiel über Interviews mit der Publikumspresse) kann als eine Pflicht der Forschenden betrachtet werden, insbesondere wenn deren Arbeit durch öffentliche Gelder finanziert wird, sowie auch eine Bedingung für den Erhalt von Subventionen sein. Eine frühzeitige und fortwährende Information über die Forschungsarbeit kann zum Beispiel über die Finanzierung und Förderung von Seminaren sowie durch die Erstellung von Websites und die Entwicklung von Lehrmitteln für Schulen erreicht werden.
Es ist wichtig, die Informationsbedürfnisse der Öffentlichkeit und die Bedeutung der verschiedenen Akteure als Informationslieferanten zu berücksichtigen. Insbesondere sollte auf die zunehmende Bedeutung sozialer Netzwerke bei der Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger für biomedizinische Entwicklungen und deren Wahrnehmung geachtet werden.
Das Einbeziehen von Forschenden sowie auch der Medien kann dazu beitragen, gegenüber Wissenschaft und Technologie eine Kultur des Vertrauens zu schaffen.
Es ist zu überlegen, wie Forschende und politische Entscheidungsträger mit den Medien zusammenarbeiten könnten, um eine unvoreingenommene Berichterstattung und Präsentation von Fakten sowie eine sachliche Hinterfragung der auf unterschiedlichen Quellen basierenden Meinungs- und Datengrundlage zu fördern und zu unterstützen.
Siehe Beispiele für Weißrussland, Frankreich, Zypern und DeutschlandErmittlung der Bedenken
Einer der Vorteile der öffentlichen Diskussion besteht darin, dass sie ermöglicht, Fragen von öffentlichem Interesse zu ermitteln. Dabei kann es sich um Fragen handeln, die von Sachverständigen und politischen Entscheidungsträgern antizipiert werden und die sie gerne im Vorfeld beleuchten würden. Es können aber auch unerwartete Fragen sein, die auftauchen, wenn sich die Leute mit den Entwicklungen in der Biomedizin auseinanderzusetzen beginnen.
Eine frühzeitige Diskussion über biomedizinische Entwicklungen trägt dazu bei, Bedenken vorwegzunehmen, bevor sich diese weit verbreiten und eine Auseinandersetzung schwierig wird. Ferner können solche Bedenken auf diese Weise zeit- und kosteneffizienter angegangen werden, indem beispielsweise die Ausgestaltung neuer Technologien und deren praktische Umsetzung angepasst wird.
Ein frühzeitiges Eingehen auf Bedenken kann den politischen Entscheidungsträgern sowie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Gewissheit geben, dass die von ihnen verfolgten Ziele auf breiterer Ebene akzeptiert werden.
Die Ermittlung von Bedenken kann die Chance auf eine erfolgreiche Umsetzung neuer Entwicklungen erhöhen.
Siehe Finnland BeispielEinholung der öffentlichen Meinung
Ein wichtiges Ziel der öffentlichen Diskussion ist es, greifbare Belege zu Verbreitung und Inhalt von öffentlichen Meinungen zu sammeln, um so fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Man muss wissen, inwieweit die in Erfahrung gebrachten öffentlichen Meinungen Ausdruck einer fundierten Auseinandersetzung mit einem Thema sind und inwieweit sie auf zugrunde liegenden Überzeugungen oder Werten basieren. Weiter sollte man auch wissen, worauf diese Standpunkte beruhen (zum Beispiel auf Fachwissen oder religiösem Glauben), wie tief sie verwurzelt sind und wie und warum sie sich im Laufe der Zeit verändern können.
Es ist darauf zu achten, welche Belege (beispielsweise qualitative oder quantitative) für das Verständnis der in der Öffentlichkeit geäusserten Standpunkte relevant sind und wie sich ihre Verwendung begründet. So weist die beobachtende Forschung, wie die Analyse sozialer Netzwerke, zwar möglicherweise ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis auf, kann aber aufgrund der fehlenden Informationskontrolle und der vorherrschenden sozialen Dynamik nur in beschränktem Umfang verwertbare Informationen liefern.
Die Interaktion mit der Öffentlichkeit ermöglicht es, klare Hinweise zu vorherrschenden Meinungen zu sammeln, womit sich dann Argumente bezüglich Bedeutung, Inhalt und (möglicherweise) Verbreitung von Auffassungen zu einem bestimmten Thema bestätigen oder entkräften lassen.
Bestimmte Formen der Interaktion mit der Öffentlichkeit können dazu beitragen, die Ursachen für die öffentliche Meinung auszumachen und die ihr zugrunde liegenden Fakten und Überzeugungen zu untersuchen.
Stärkung der Partizipation
Das Ziel der öffentlichen Diskussion kann darin bestehen, die Öffentlichkeit beispielsweise bei der Festlegung politischer Handlungsoptionen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen oder sie über die Teilnahme an Kontroll- oder Prüftätigkeiten in die Governance neuer Technologien einzubinden.
Die Partizipation der Öffentlichkeit hat eine Reihe von Vorteilen. Insbesondere wird über das Mittel der Vertretung die Legitimität gestärkt und sichergestellt, dass es eine Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Werten gibt. Es ist jedoch wichtig, das Verhältnis zwischen der eingebundenen Öffentlichkeit und der breiten Öffentlichkeit, deren Interessen auf dem Spiel stehen, zu verstehen (siehe nachfolgendes Kapitel).).
Die Öffentlichkeit sollte an Entscheidungsfindungsprozessen teilnehmen können oder in diese einbezogen werden (zum Beispiel bei der Planung möglicher politischer Handlungsoptionen). Ferner sind die Kapazitäten zur Förderung einer Mitwirkung bei der Entwicklung von Governance-Regeln auszubauen (beispielsweise Patientengruppen).
Siehe Frankreich BeispielBelarus - Rechte und Pflichten von Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten innerhalb moderner Gesundheitssystem (ethische und rechtliche Fragen) (2018)
Bei der öffentlichen Diskussion über «die Rechte und Pflichten von Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten innerhalb moderner Gesundheitssysteme (ethische und rechtliche Fragen 2018–2019)» ging es vor allem darum, die Patientinnen und Patienten über ihre Rechte aufzuklären und die Ärztinnen und Ärzte an ihre Pflichten zu erinnern, einschliesslich der Kenntnis der neuen Gesetzgebung und der ethischen Praktiken.
Frankreich – Öffentliche Diskussion über das Bioethikgesetz (2018)
Die Medien spielten bei den in Frankreich durchgeführten «Generalständen» eine anerkanntermassen bedeutende Rolle. Zudem wurden im Vorfeld der öffentlichen Diskussionen Schulungen für Medienfachleute organisiert, um im Hinblick auf die ausgewählten Themen und deren ethische Implikationen eine ausgewogene Berichterstattung zu fördern.
Zypern – Sensibilisierungswoche (2018)
Im Zusammenhang mit der in Zypern 2018 organisierten Sensibilisierungswoche über Alters- und Pflegeheime wurde ein Verhaltenskodex erarbeitet, der den Journalistinnen und Journalisten sowie den Medien bei der Berichterstattung über verschiedene Aspekte der Altenpflege als Anleitung dienen soll.
Deutschland – Öffentliche Diskussion über Genomchirurgie (2019)
Im Rahmen der 2019 lancierten Diskussion über die Genomchirurgie (Genomchirurgie im gesellschaftlichen Diskurs) wurden zwei Schulungsveranstaltungen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Fachleuten aus den Bereichen Biologie, Medizin, Ethik und Recht organisiert, um Journalistinnen und Journalisten sowie Redaktorinnen und Redaktoren das Thema Genomchirurgie aus verschiedenen Blickwinkeln näherzubringen. Ziel war die Sicherstellung einer fundierten Medienberichterstattung zum Thema.
Finnland – Überweisung von Bürgerinitiativen an das Parlament (2012)
Die Bürgerinnen und Bürger können sich im Zusammenhang mit Fragen, die sie beschäftigen, mittels Einreichung von Initiativen[HO1] über eine 2012 aufgeschaltete offizielle Website direkt an den Gesetzgeber wenden. Wird eine Initiative von mehr als 50 000 Finnen unterzeichnet, muss sich das Parlament mit dieser befassen.