DW, 11/05/2021
Am 11. Mai wird das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zehn Jahre alt. Dieser Jahrestag fällt in eine schwierige Zeit für Frauen in Europa.
In den vergangenen Jahren haben ultrakonservative Bewegungen immer wieder versucht, die Rechte der Frauen in ganz Europa zu untergraben. Die Corona-Pandemie hat die Situation noch verschärft: Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt werden rückgängig gemacht, die Gewalt gegen Frauen ist sprunghaft angestiegen, und die Hindernisse beim Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten haben sich vervielfacht.
Gewalt-Prävention ist der erste Schritt
Die Istanbul-Konvention stellt ein einzigartiges Instrument für die europäischen Länder dar, um diese Situation umzukehren. Indem sie feststellt, dass Gewalt gegen Frauen eine Menschenrechtsverletzung ist, untergräbt sie jeden Versuch einer Charakterisierung als Privat- oder Familienangelegenheit. Ob häusliche Gewalt, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, sexuelle Belästigung, psychische Gewalt, Stalking, Zwangssterilisation oder Zwangsabtreibung - die Istanbul-Konvention verpflichtet die Staaten, allen Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen umfassend zu begegnen.
Die Konvention sieht einen opferzentrierten Ansatz vor, der darauf abzielt, Frauen mehr Sicherheit zu verschaffen, indem Gewalt verhindert, die Opfer geschützt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Wichtig ist, dass die Konvention auch unterstreicht, dass die wirksame Prävention von Gewalt gegen Frauen von den Staaten verlangt, die Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern. Sie müssen die tief verwurzelten Ungleichheiten und Stereotypen in Bezug auf die Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft bekämpfen.
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention hat viele positive Ergebnissen gebracht. In Albanien, Finnland, Montenegro, Portugal und der Türkei gibt es jetzt mehr Schutzräume für Opfer von Gewalt. Spezialisierte Unterstützungsdienste für Opfer sexueller Gewalt wurden auch in Österreich, Dänemark, Finnland, Portugal und kürzlich in Spanien eingerichtet.
Gesetzesreformen infolge der Konvention
Einige Länder - darunter Österreich, Dänemark, Deutschland, Irland, Malta, Portugal und Schweden - haben ihre Gesetze zu sexueller Gewalt und Vergewaltigung geändert, um sie näher an den Standard der Istanbul-Konvention heranzuführen. So it dort jetzt festgelegt, dass die fehlende Zustimmung des Opfers das konstituierende Element solcher Straftaten ist, und nicht die Anwendung von Gewalt oder Drohungen durch den Täter. Weitere Formen von Gewalt gegen Frauen, wie zum Beispiel das Stalking, wurden in Albanien, Portugal und Montenegro unter Strafe gestellt.
Die Umsetzung der Konvention hat auch dazu geführt, dass Polizei- und Justizbeamte besser ausgebildet werden, die Strafverfolgungsbehörden mit geschlechtsspezifischer Gewalt sensibler umgehen und gleichzeitig Gewalt gegen Frauen effektiver verfolgt wird.
Mit Fake News eine frauenfeindliche Agenda verbergen
Die Pandemie wirkte auch hier wie ein Vergrößerungsglas: Einerseits offenbarte sie noch bestehende Lücken in der Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, andererseits hat sie auch die Bedeutung der bereits getroffenen Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention unterstrichen. Mehrere Staaten haben zum Beispiel im Lockdown besondere Maßnahmen für gefährdete Frauen und zur Unterstützung von Gewaltopfern getroffen, zum Beispiel durch neue Warnmechanismen.
Trotz aller nachgewiesenen Vorteile der Istanbul-Konvention für die Rechte der Frauen werden von den Gegnern weiterhin falsche Behauptungen verbreitet. Unter dem Vorwand, familiäre Werte und Traditionen zu verteidigen, verbirgt sich oft eine frauenfeindliche und homophobe Agenda. Diesen Gegnern sei gesagt: Nicht ein Vertrag, der häusliche Gewalt bekämpft, zerstört Familien, sondern allein die häusliche Gewalt selbst!
Nationale Gesetze gehen nicht weit genug
Andere argumentieren, ein solches internationales Instrument sei gar nicht notwendig, weil alle Länder bereits nationale Gesetze hätten, die ausreichenden Schutz gegen häusliche Gewalt böten. Dieser Hinweis kam auch, als die Türkei im März leider aus der Konvention austrat. Dieses unterschlägt jedoch die Tatsache, dass die bestehenden nationalen Gesetze weit weniger umfassend sind als die Istanbul-Konvention - sowohl was die Formen der Gewalt gegen Frauen angeht, die diese Gesetze abdecken, als auch die Maßnahmen, die die Vertragsstaaten der Konvention zu deren Umsetzung ergreifen müssen. Darüber hinaus sieht die Istanbul-Konvention vor, dass eine unabhängige Gruppe internationaler Experten die Umsetzung der Konvention überall prüft und dass alle Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit verpflichtet sind.
Die Istanbul-Konvention rettet Leben. Staaten haben die moralische und rechtliche Pflicht, Frauen und Mädchen nicht im Stich zu lassen. Sie müssen die Istanbul-Konvention ratifizieren und weiter umsetzen. Es gibt keine überzeugenden Argumente, dies nicht zu tun.