"Österreich hat wichtige Schritte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unternommen, aber wie die hohe Zahl der Femizide und das Auftreten neuer digitaler Dimensionen der Gewalt zeigen, sind verstärkte und besser koordinierte Anstrengungen erforderlich", sagte heute die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, nach einem Besuch in Österreich vom 13. bis 17. Dezember.
"Die Behörden sollten nicht nur sicherstellen, dass ausreichend Mittel für die Prävention von Gewalt gegen Frauen und den Opferschutz auf transparente und nachhaltige Weise bereitgestellt werden. Sie benötigen auch einen ehrgeizigen und umfassenden Ansatz zur Bewältigung der rechtlichen, finanziellen, operativen und menschlichen Herausforderungen, und zwar in enger Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren, einschließlich der nationalen Menschenrechtsstrukturen und der Nichtregierungsorganisationen", fügte sie hinzu. "Ich habe mit Interesse die jüngste Verabschiedung des Pakets "Hass im Netz" zur Kenntnis genommen, das neue Instrumente zur Bekämpfung dieses Übels bereitstellt, und ich werde seine Umsetzung in die Praxis aufmerksam verfolgen."
Die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen und ihre diesbezüglichen Rechte müssen geschützt werden, um eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter zu gewährleisten. Alle bestehenden finanziellen und praktischen Hindernisse, die den Zugang zu diesen Gesundheitsdiensten verhindern, müssen beseitigt werden. "Ich konnte feststellen, dass die Wahrnehmung dieser Rechte für viele in Österreich lebende Frauen, insbesondere für junge und/oder mittellose Frauen, durch den fehlenden Zugang zu erschwinglichen Verhütungs- und Abtreibungsdiensten geschmälert wird, eine Situation, die durch die Pandemie noch verschärft wurde", erklärte die Kommissarin anlässlich eines Besuchs in einer Beratungsstelle der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Sie empfahl den österreichischen Behörden dafür zu sorgen, dass Produkte und Dienstleistungen zur Empfängnisverhütung von der öffentlichen Krankenversicherung oder von Subventionsprogrammen abgedeckt werden und dass die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit legaler Abtreibungsdienste in der Praxis landesweit gewährleistet wird.
Sie wies auch darauf hin, dass das österreichische Lohngefälle von 19,9 Prozent im Jahr 2019 laut Eurostat zu den größten in der Europäischen Union gehört und zu erheblichen Rentenunterschieden und zu Frauenarmut beiträgt. Daher forderte die Kommissarin die Behörden auf, dafür zu Sorge zu tragen, dass die in der Gesetzgebung vorgesehenen Sanktionen gegen Arbeitgeber für Geschlechtsdiskriminierung auch tatsächlich verhängt werden und den Zugang zu gleichen Chancen für Frauen und Männer gewährleistet ist.
Was die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten betrifft, so besuchte die Kommissarin das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen (Niederösterreich), wo sie mit vielen Bewohnern, darunter Familien, Frauen und unbegleiteten Jungen und Mädchen, sowie mit Mitarbeitern der Bundesagentur für Aufnahme- und Unterstützungsleistungen zusammentraf. "Ich begrüße die von der Agentur geleistete Arbeit, um alle Ankommenden unter guten sanitären Bedingungen unterzubringen, aber das Zentrum stößt an seine Grenzen, da viele derjenigen, die für eine Verlegung in andere Aufnahmeeinrichtungen in Frage kommen, in Traiskirchen bleiben", so die Kommissarin. Das für Kurzaufenthalte konzipierte Zentrum bietet keine ausreichenden oder angemessenen Bildungs- und Freizeitaktivitäten, was insbesondere für unbegleitete Kinder problematisch ist. Die unter 14-Jährigen werden derzeit von bezahlten asylsuchenden Müttern betreut, die ebenfalls im Zentrum wohnen und manchmal nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. "Ich fordere die Behörden auf, für diese jungen Kinder von Beginn des Asylverfahrens an vollwertige Vormünder zu benennen und die Gespräche mit den Ländern fortzusetzen. Es muss sichergestellt werden, dass diese ihren Anteil übernehmen und die Asylbewerber nach Abschluss des Zulässigkeitsverfahrens überstellen, so wie es das Gesetz vorsieht", erklärte die Kommissarin. Sie unterstrich die entscheidende Bedeutung von Rechtsbeistand im Asylverfahren und forderte die österreichischen Behörden auf, die Qualität des von der Bundesagentur für Aufnahme- und Unterstützungsleistungen geleisteten Beistands und die Unabhängigkeit dieser Agentur sowohl in der Praxis als auch im Gesetz zu gewährleisten.
Während ihres Besuchs traf die Kommissarin mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Alexander Schallenberg, der Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, Karoline Edtstadler, dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Wolfgang Mückstein, der Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt, Susanne Raab, der Bundesministerin für Justiz, Alma Zadić, und hohen Beamten des Bundesministeriums für Inneres zusammen. Sie traf auch Petra Bayr, Mitglied des österreichischen Parlaments, die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die österreichische Volksanwaltschaft, den Bürgermeister von Traiskirch, Andreas Babler, sowie Vertreter der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen. Die Kommissarin nahm auch gemeinsam mit Karin Lukas, der Präsidentin des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte, an der Online-Veranstaltung zur Vorstellung des Europäischen Jahrbuchs für Menschenrechte teil, die von dem Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität Graz (UNI-ETC) organisiert wurde.
Der Bericht der Kommissarin über ihren Besuch wird in Kürze veröffentlicht.