Die Expertengruppe des Europarates für die Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) hat ihren jüngsten allgemeinen Tätigkeitsbericht veröffentlicht, in dem die wichtigsten Errungenschaften des Jahres 2023 hervorgehoben werden. Dazu zählen vor allem die Veröffentlichung von elf neuen Länderbewertungsberichten (in Bezug auf Aserbaidschan, Estland, Griechenland, Island, die Niederlande, Nordmazedonien, Polen, Schweden, Serbien, Slowenien und Spanien) sowie der Start der vierten Bewertungsrunde der Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels, deren thematischer Schwerpunkt auf der Anfälligkeit für Menschenhandel liegt.
Der Bericht enthält eine Bestandsaufnahme der dritten Bewertungsrunde der Konvention, deren Hauptthema der Zugang von Menschenhandelsopfern zur Justiz und zu wirksamen Rechtsbehelfen war. Da diese Bewertungsrunde für die meisten Vertragsstaaten der Konvention Ende 2023 abgeschlossen war, analysiert die GRETA die Trends, die sich aus ihren Länderberichten ergeben, und macht auf Lücken bei der Umsetzung der Konvention sowie vielversprechende Praktiken aufmerksam.
Die GRETA weist darauf hin, dass Informationen nicht in einer Weise bereitgestellt werden, welche der Situation von Menschenhandelsopfern Rechnung trägt, und für diese nicht immer verständlich sind. Erschwerend könne hinzukommen, dass eine Reihe von Staaten Probleme hat, den Zugang von Menschenhandelsopfern zu qualifizierten und unabhängigen Dolmetscherinnen und Dolmetschern zu gewährleisten.
In dem Bericht werden auch die Schwierigkeiten dargelegt, denen Opfer beim Zugang zu juristischer Unterstützung begegnen, und es wird festgestellt, dass in mehreren Ländern für bestimmte Kategorien von Menschenhandelsopfern, wie etwa Migrantinnen und Migranten ohne Ausweispapiere, keine Prozesskostenhilfe verfügbar ist. Überdies mangele es an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die für die Vertretung von Menschenhandelsopfern ausgebildet und darauf spezialisiert sind.
„Der Zugang zu juristischer Unterstützung und Prozesskostenhilfe ist entscheidend, um den Zugang zur Justiz zu erleichtern und zu garantieren“, erklärte die Präsidentin der GRETA, Helga Gayer. „Es ist wichtig, Zugang zu einem Rechtsanwalt zu haben, sobald es berechtigte Gründe für die Annahme gibt, dass eine Person ein Menschenhandelsopfer ist, und noch bevor die Person eine offizielle Erklärung abgibt oder sich dazu entscheidet, mit den Behörden zu kooperieren. Ein frühzeitiger Zugang zu juristischer Unterstützung ist auch wichtig, um es Opfern zu ermöglichen, zivilrechtliche Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen“, fügte sie hinzu.
Die GRETA stellt zudem fest, dass Menschenhandelsopfer in vielen Ländern auf Hindernisse stoßen, die ihnen den effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren, was sie für eine erneute Ausbeutung anfällig macht. Diese Schwierigkeiten hingen beispielsweise mit dem Aufenthaltsstatus der Opfer und dem Fehlen eines Bankkontos zusammen, auf welches das Arbeitsentgelt überwiesen werden kann.
Darüber hinaus sei es schwierig, im Rahmen von straf- oder zivilrechtlichen Verfahren eine Entschädigung von den Tätern zu erhalten. Von Gerichten zugesprochene Entschädigungen würden den Opfern nur selten ausgezahlt, weil die Vermögenswerte der Täter nicht rechtzeitig ermittelt und eingefroren werden. Außerdem würden staatliche Entschädigungsregelungen aufgrund restriktiver Kriterien und fehlender kostenloser juristischer Unterstützung bei der Beantragung staatlicher Entschädigung in der Praxis nur selten auf Menschenhandelsopfer angewandt.
Positiv zu bewerten sei, dass mehrere Staaten Gesetzesänderungen vorgenommen und/oder spezifische Leitlinien im Zusammenhang mit der Straffreiheitsbestimmung veröffentlicht haben. Allerdings werde die Anwendung des Grundsatzes der Straffreiheit weiterhin durch Lücken bei der Identifizierung von Menschenhandelsopfern behindert.
Das Organ des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels ist besorgt über die niedrige Zahl an Strafverfolgungen und Verurteilungen wegen Menschenhandel und unterstreicht, dass die Nichtverurteilung von Menschenhändlern und das Fehlen wirksamer Sanktionen eine Kultur der Straflosigkeit zur Folge habe. Ein wiederkehrendes Problem bestehe darin, dass Fälle von Menschenhandel in andere Straftaten umgedeutet werden, die mit milderen Strafen bewehrt sind, wodurch Menschenhandelsopfer des Zugangs zu bestimmten Rechten beraubt werden.
Der Bericht zeigt auch Situationen auf, in denen die Monitoring-Tätigkeit der GRETA zu Verbesserungen bei der Umsetzung der Konvention und zu vielversprechenden Praktiken in mehreren Ländern geführt hat.
Ein eigener Abschnitt des Berichts ist der Verhütung und Aufdeckung von Menschenhandelsfällen unter Personen gewidmet, die aufgrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine vertrieben wurden. Laut den verfügbaren Informationen sei die Zahl der bestätigten Menschenhandelsfälle unter ukrainischen Flüchtlingen seit Kriegsbeginn gering, was ein Zeichen für den Erfolg der Präventionsmaßnahmen sein könnte, die frühzeitig ergriffen wurden, um ukrainische Flüchtlinge zu schützen und das Menschenhandelsrisiko einzudämmen. Gleichzeitig betont die GRETA, dass die Identifizierung von Menschenhandelsopfern eine Herausforderung darstelle, da diese möglicherweise zögern, Anzeige zu erstatten, weil sie in Bezug auf Arbeit oder Unterkunft häufig von ihren Menschenhändlern und Ausbeutern abhängig sind.
Die GRETA plant 2024 einen Besuch in der Ukraine, um die Auswirkungen des Kriegs auf die Bekämpfung von Menschenhandel in der Ukraine unmittelbar vor Ort zu bewerten, einschließlich der Frage der Zwangsumsiedlung und Verschleppung ukrainischer Kinder.