„Wenn zwischen den diversen ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Bevölkerungsgruppen Spaltungen auftreten, wird die Demokratie geschwächt. Die Rückschritte bei den Minderheitenrechten sind in der Tat besorgniserregend, da sie die inklusive Natur der Gesellschaft in den Ländern Europas gefährden können“, so der Beratende Ausschuss zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten in seinem heute veröffentlichten Zweijahresbericht für den Zeitraum 2018–2020.
In den vergangenen beiden Jahren beobachtete der Beratende Ausschuss des Europarates weiterhin den Aufstieg nationalistischer, populistischer und fremdenfeindlicher Bewegungen und Parteien. Während zahlreiche Angehörige nationaler Minderheiten noch immer nicht vollumfänglich am kulturellen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben der Gesellschaft teilhaben können, zielt populistischer, fremdenfeindlicher Diskurs im Namen der „Mehrheit“ darauf ab, ihre Möglichkeiten weiter zu beschränken. Politikerinnen und Politiker, die der extremen Rechten oder Parteien der „Mitte“ zuzurechnen sind, beteiligen sich oftmals aktiv am intoleranten oder hassgeprägten Diskurs gegen nationale Minderheiten oder verurteilen ihn nicht. Die Akzeptanz derartiger Äußerungen hält dem Beratenden Ausschuss zufolge Angehörige nationaler Minderheiten davon ab, eine aktive Rolle in der öffentlichen Debatte und die wirksame Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten und Entscheidungen, die sie betreffen, anzustreben.
Der Rechtsrahmen und die formellen Strukturen für die Beteiligung der Vertreterinnen und Vertreter nationaler Minderheiten an den öffentlichen Angelegenheiten stehen indes im Allgemeinen zur Verfügung: In vielen Staaten wird nationalen Minderheiten die institutionalisierte Teilnahme an der Entscheidungsfindung ermöglicht, entweder direkt (etwa durch eine festgelegte Zahl von Parlamentssitzen) oder indirekt durch Beratungsmechanismen wie Minderheitenräte oder beides. „Dies ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber den früheren Zeiten des Rahmenübereinkommens“, stellt der Ausschuss fest.
Allerdings bestehen Hindernisse für die uneingeschränkte Ausübung dieses Rechts: Grenzwerte, welche die tatsächliche Beteiligung zahlmäßig kleinerer Minderheiten verhindern, Mangel an angemessener Evaluierung der praktischen Umsetzung der Maßnahmen und Unwirksamkeit der Konsultationsmechanismen in mehreren europäischen Ländern, etwa wenn die Meinung indigener Völker zur Ausbeutung des Landes, das sie traditionell bewohnen, missachtet wird. Ein weiteres Beispiel sind unwirksame Systeme zur Beteiligung an der Gestaltung und Umsetzung landesweiter Strategien zur Integration der Roma. Um den am stärksten benachteiligten Gruppen die tatsächliche Teilhabe an demokratischen Prozessen zu ermöglichen, müssen die Staaten die grundlegenden Hindernisse bekämpfen, etwa Armut, Analphabetismus, Bildungsmangel, das Fehlen von Ausweispapieren, soziale Ausgrenzung und räumliche Segregation. Zudem sollte in Betracht gezogen werden, Minderheitenvertreterinnen und -vertreter zu schulen, um ihnen das Verhandeln mit den Behörden zu erleichtern, oder die Teilnahme an Sitzungen finanziell zu unterstützen.
Der Bericht befasst sich auch damit, wie sich die Lage der Minderheitenrechte in den letzten beiden Jahren entwickelt hat. Im Allgemeinen hat sich der Rechtsrahmen zum Schutz der Minderheitenrechte in den einzelnen Ländern positiv weiterentwickelt, die Umsetzung und die Überwachung der Gesetze müssen allerdings noch verbessert werden.
Das Ministerkomitee des Europarates hat heute einen Meinungsaustausch mit der amtierenden Vorsitzenden des Beratenden Ausschusses zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, Marie Hagsgård, abgehalten und dabei den Zweijahresbericht des Ausschusses zur Kenntnis genommen.
Minderheiten und Sprachen: Verschiedene Identitäten – gleiche Rechte [EN]