Obgleich Russland im März 2022 aus dem Europarat ausgeschlossen wurde und jegliche Kommunikation mit der Organisation über die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingestellt hat, ist Russland weiterhin Mitglied der Vereinten Nationen und unterliegt deren Überwachungsverfahren.
Der Europarat arbeitet aktiv mit den UN-Organen zusammen, um Russland an seine unbedingte rechtliche Verpflichtung zur Umsetzung der EGMR-Urteile zu erinnern. Nächste Woche wird die UN-Sonderberichterstatterin zu einem diesbezüglichen Meinungsaustausch mit dem Ministerkomitee des Europarates nach Straßburg reisen.
Bei der letzten Quartalssitzung des Ministerkomitees des Europarates zur Umsetzung von EGMR-Urteilen vom 5. bis 7. Dezember wurden die Frage, wie die Vereinten Nationen dazu beitragen können, dass Russland die EGMR-Urteile umsetzt, sowie die neuesten Entwicklungen bei anhängigen russischen Fällen erörtert.
Im zwischenstaatlichen Fall Georgien gegen Russland (II), der sich auf den bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und der Russischen Föderation im August 2008 bezieht, urteilte der Europäische Gerichtshof im April 2023, dass Russland der georgischen Regierung innerhalb von drei Monaten über € 129 Millionen zu zahlen hat. In einer Interimsentschließung*, die auf der Sitzung in dieser Woche angenommen wurde, stellte das Ministerkomitee fest, dass keine Zahlung erfolgt ist und sich der von der Russischen Föderation geschuldete Gesamtbetrag einschließlich der angefallenen Zinsen auf etwa € 133,4 Millionen beläuft.
Das Ministerkomitee forderte die russischen Behörden erneut dringend auf, den Betrag unverzüglich zu zahlen. Es bekräftigte nachdrücklich seine tiefe Besorgnis darüber, dass georgische Staatsangehörige nicht in ihre Heimat in Südossetien und Abchasien zurückkehren können, und bestand darauf, dass die Russische Föderation, welche die tatsächliche Kontrolle über diese Regionen ausübt, unverzüglich Maßnahmen ergreift, um Entführungen, Tötungen, Folter oder sonstige Vorfälle zu verhindern, welche die freie und sichere Bewegung georgischer Staatsangehöriger behindern, sowie die sichere Rückkehr von Personen gewährleistet, die in ihre Heimat zurückkehren möchten. Das Ministerkomitee hat auch eine Entscheidung im Fall Georgien gegen Russland (I) getroffen.
Nach seiner Prüfung der Fälle im Zusammenhang mit dem Tod von den russischen Behörden kritisch gegenüberstehenden Personen (Sergei Magnitski, Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa und Alexander Litwinenko), an dem die Öffentlichkeit großen Anteil nahm, und dem Ausbleiben wirksamer Ermittlungen zu diesen Todesfällen betonte das Ministerkomitee die unbedingte Verpflichtung Russlands, die vom Gerichtshof zugesprochene „gerechte Entschädigung“ zu zahlen und die Urteile vollständig umzusetzen. Informationen über die Bearbeitung dieser Fälle werden der UN und der EU zur Kenntnis gebracht.
Das Ministerkomitee verabschiedete auch eine Entscheidung über eine Gruppe von neun Fällen im Zusammenhang mit Alexei Nawalny. Es forderte die russischen Behörden dringend auf, völkerrechtswidrige Gesetze aufzuheben, die innerstaatliche rechtliche Hindernisse für die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schaffen, verurteilte die Tatsache, dass Alexei Nawalny noch immer im Gefängnis sitzt, scharf und forderte die russischen Behörden auf, für seine sofortige Freilassung zu sorgen und ihm freien Zugang zu unabhängigen Ärzten und ungehinderte Besuche von Anwälten zu ermöglichen.
In seiner Entscheidung über Fälle im Zusammenhang mit Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bei der Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlung sowie der Verweigerung der Registrierung von LGBTI-Vereinigungen bedauerte das Ministerkomitee zutiefst die weithin gemeldete anhaltende Verschlechterung der Rechte von LGBTI-Personen in Russland, bekräftigte die Verpflichtung der Behörden, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu beseitigen, und unterstrich ferner die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen.
Im Anschluss an die Sitzung in dieser Woche wandte sich die Generalsekretärin des Europarates, Marija Pejčinović Burić, erneut in einem Schreiben an den Außenminister der Russischen Föderation und forderte die Behörden eindringlich auf, ihrer völkerrechtlich bindenden Verpflichtung gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention nachzukommen und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs uneingeschränkt zu befolgen.
(*) Eine Interimsentschließung ist eine Entscheidung, die vom Ministerkomitee mit dem Ziel verabschiedet wird, komplexere Situationen zu bewältigen, die eine besondere Aufmerksamkeit erfordern.