Erklärung der Menschenrechtskommissarin
„Ungeachtet der beispiellosen Aufgaben, vor denen die europäischen Länder aufgrund der Coronavirus-Pandemie stehen, muss die Rettung von Menschenleben auf See fortgesetzt und es den Überlebenden ermöglicht werden, in einem sicheren Hafen zu landen“, erklärte heute Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin des Europarates.
Die Kommissarin ruft die Mitgliedsstaaten des Europarates dazu auf, unverzüglich auf jeden Seenotruf zu reagieren, rechtzeitig die notwendigen Rettungskräfte zu entsenden und wirksam zusammenzuarbeiten, um einen sicheren Ort zu bestimmen, an dem die Überlebenden von Bord gehen können. Dabei sollten die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit aller Beteiligten ergriffen werden.
Wie die Kommissarin bereits in ihrer im Juni 2019 ausgesprochenen Empfehlung feststellte, hat der Rückgang staatlich geführter Such- und Rettungseinsätze in Verbindung mit dem Rückzug der Länder von ihren Rettungsverpflichtungen sowie die Verabschiedung restriktiver Maßnahmen in Bezug auf private Schiffe, die Menschen in Seenot retten, zu einem Mangel angemessenen Rettungskapazitäten und wirksamer Koordinierung im zentralen Mittelmeerraum geführt. In den vergangenen Tagen wurden in Italien und Malta als Reaktion auf die COVID-19-Notlage verschiedene Maßnahmen und Praktiken angenommen, die die Schließung von Häfen für Schiffe von Nichtregierungsorganisationen mit geretteten Migranten an Bord sowie die Unterbrechung von Tätigkeiten zur Koordinierung von Rettungseinsätzen und Ausschiffungen von Menschen in Not zur Folge hatten. Dadurch wurden bestehende Mängel bei Such- und Rettungseinsätzen im zentralen Mittelmeerraum noch weiter verschärft.
Die Aufnahme und Unterstützung von aus Seenot geretteten Menschen und der gleichzeitige Schutz der öffentlichen Gesundheit sind in dieser schwierigen Zeit ein großes Problem. Angesichts der Notlage in Italien und Malta ruft die Kommissarin alle Mitgliedsstaaten des Europarates, darunter Flaggenstaaten, dazu auf, wirksame Unterstützung zu leisten, um rasch – gegebenenfalls auch vorläufige – Lösungen zu finden, und sicherzustellen, dass Küstenstaaten angesichts dieser Situation nicht sich selbst überlassen werden. Die COVID-19-Krise ist keine Rechtfertigung, um Menschen absichtlich ertrinken zu lassen, gerettete Migranten tagelang auf die Ausschiffung warten zu lassen oder sie schließlich nach Libyen zurückzuschicken, wo sie schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Europäische Solidarität und konkretes Handeln, um gemeinsam Verantwortung zu tragen und Menschenrechte zu schützen, sind jetzt mehr denn je von entscheidender Bedeutung.
„In dieser schwierigen Zeit werden wir nachdrücklich an den Wert des menschlichen Lebens und die Notwendigkeit, das Recht auf Leben zu schützen, erinnert, auch jenes derer, die auf dem Meer treiben und nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit stehen“, so die Kommissarin abschließend.