Wir haben die Instrumente, um die wachsende Bedrohung durch Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bewältigen, im Netz und darüber hinaus.
Gemeinsame Erklärung von Elena Bonetti, italienische Ministerin für Chancengleichheit und Familie, und Marija Pejčinović Burić, Generalsekretärin des Europarates:
Im Jahr 2021 begehen wir den Jahrestag der Istanbul-Konvention. Vor zehn Jahren wurde diese Konvention des Europarates – das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – zur Zeichnung aufgelegt. Der Weg bis zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen ist jedoch noch lang.
Weltweit wurden einer Statistik der Vereinten Nationen zufolge bereits 736 Millionen Frauen – beinahe eine von drei – mindestens einmal Opfer von Gewalt in der Partnerschaft oder von sexualisierter Gewalt außerhalb der Partnerschaft. Dabei berücksichtigt diese Zahl nicht sexuelle Belästigung und Formen von Gewalt wie Nachstellung („Stalking“), Zwangsheirat und Verstümmelung weiblicher Genitalien.
Eine Priorität des italienischen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarates ist die Stärkung der Stellung der Frau, was den Schutz und die Förderung ihrer Rechte einschließt. Wir dürfen nicht untätig bleiben, während die Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt im Netz zunimmt, besonders deshalb, weil Online-Gewalt leicht auf die „reale“ Welt übergreift.
Die Ziele der Istanbul-Konvention sind eindeutig: Sie beugt Gewalt gegen Frauen vor, schützt die Opfer und gewährleistet die Strafverfolgung der Täter. Sie ruft nicht nur zu ineinandergreifenden politischen Maßnahmen auf, sondern stellt auch bestimmte Taten unter Strafe, etwa Nachstellung, Zwangsheirat und Verstümmelung weiblicher Genitalien. Wo sie umgesetzt wird, erfüllt sie ihren Zweck – und führt zu positiven Veränderungen der innerstaatlichen Gesetze.
Die Istanbul-Konvention ist das fortschrittlichste internationale Instrument, über das die Staaten Europas verfügen, und ihre Umsetzung ist das wirksamste Mittel, um für die Frauenrechte einzutreten. Wir rufen zu weiteren Unterzeichnungen und Ratifizierungen auf.
Während der pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen stark angestiegen. Im Rahmen der Programme zur wirtschaftlichen Erholung müssen die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt, familienunterstützende Dienstleistungen und die Förderung der Führungsrolle von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft vorrangige Themen sein. Die Stärkung der Rolle der Frau ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, darunter von „wirtschaftlicher Gewalt“. Ebenso wichtig ist es, weiterhin darauf hinzuarbeiten, dass Beruf und Privatleben vereinbar sind, und so zu gewährleisten, dass Frauen nicht zwischen Familie und Arbeit wählen müssen.
Am Vortag des Internationalen Tags der Vereinten Nationen zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (24. November) hat die Expertengruppe des Europarates für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) ihre erste allgemeine Empfehlung über die „digitale Dimension von Gewalt gegen Frauen“ veröffentlicht.
Die Empfehlung deckt im Netz begangene Gewalt gegen Frauen ab, etwa die Weitergabe erniedrigender Darstellungen, Beleidigungen und Todes- oder Vergewaltigungsdrohungen, aber auch Taten mittels Spionagetechnik, von der Internetsicherheitsunternehmen berichten. Der Empfehlung zufolge sollte verhindert werden, dass Täter die Möglichkeiten einer Frau, wirtschaftliche Ressourcen zu erwerben, zu nutzen und zu erhalten, ohne ihre Zustimmung beeinflussen können, indem sie Bankkonten und finanzielle Operationen bei Bankgeschäften im Internet überwachen. Digitalbildung und Internetsicherheit sollen im Lehrplan und auf allen Bildungsebenen gefördert werden, ebenso wie die Schulung relevanter Akteure im Hinblick auf digitale Formen von Gewalt gegen Frauen: von Personen, die in der Strafverfolgung und -justiz tätig sind, bis zu Gesundheitspersonal.
Zu den zahlreichen Maßnahmen der GREVIO-Empfehlung zählen die Förderung der Aufnahme digitaler Kompetenz und Sicherheit im Internet in die Lehrpläne aller Bildungsstufen; die Bestärkung von Internetvermittlern, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen und Maßnahmen zu ergreifen, um der Straflosigkeit bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten im Internet ein Ende zu setzen; und die Forderung, die Strafverfolgungsbehörden mit den erforderlichen Instrumenten und dem nötigen Wissen auszustatten, um Täter wirksam zu ermitteln und zu verfolgen. Darüber hinaus baut die neue Empfehlung auf einem – dem sexistischen Missbrauch im Netz gewidmeten – Kapitel der Empfehlung des Ministerkomitees an alle Mitgliedsstaaten über die Prävention und Bekämpfung von Sexismus von 2019 auf.
Sie stellt im Zusammenhang mit der digitalen Dimension von Gewalt gegen Frauen eine wichtige Verbindung zur Istanbul-Konvention her und bietet mögliche Chancen für Synergien zwischen dem Vertrag von Istanbul und dem Übereinkommen über Computerkriminalität des Europarates, auch bekannt als Budapester Konvention, einem wegweisenden Vertrag, der als das umfassendste und kohärenteste internationale Abkommen über Computerkriminalität und elektronische Beweismittel gilt und dessen 20. Jahrestag der Zeichnungsauflegung in diesen Monat fällt.
Gewalt gegen Frauen, darunter Gewalt im Internet und geschlechtsspezifische Computerkriminalität, ist eine ernsthafte Bedrohung der Freiheiten und Rechte von Frauen. Uns stehen die Instrumente zur Verfügung, um Gewalt zu erkennen und zu bekämpfen. Da wir dieses Jahr die Jahrestage von zwei wichtigen Europaratsverträgen begehen, und in Anbetracht des oben erwähnten internationalen Tages der Vereinten Nationen rufen wir alle Vertragsstaaten dazu auf, die Leitlinien der Istanbul-Konvention und der neuen GREVIO-Empfehlung zu befolgen.