Heute ist ein neuer Bericht über den Schutz von durch die Flüchtlingskrise betroffenen Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch veröffentlicht worden. Zu den größten darin festgestellten Problemen zählen unvollständige Datenerhebungen, unangemessene Aufnahmebedingungen, die Bestimmung des Alters und die Ermittlung der Opfer.
Es sind keine umfassenden Daten über die Gesamtzahl der von der Flüchtlingskrise in Europa betroffenen Kinder verfügbar. Schätzungen des Europäischen Netzwerks der Ombudspersonen für Kinder (ENOC) zufolge waren 2015 jedoch mindestens 337 000 Kinder als asylsuchend registriert, davon 88 300 unbegleitete. Die untersuchten Mitgliedsstaaten haben wesentlich größere Schwierigkeiten, Daten oder Schätzungen über die Anzahl der Kinder zu liefern, die kein Asyl beantragt haben.
Was die Zahl der Opfer sexueller Ausbeutung oder sexuellen Missbrauchs angeht, haben nur sehr wenige (*) der 41 untersuchten Länder Zahlenangaben gemacht. Andere hingegen haben entweder geantwortet, dass es bei ihnen keine Opfer gebe, oder angegeben, dass sie über keinerlei Daten verfügen, um dies zu belegen. Die meisten Vertragsstaaten räumten allerdings ein, dass es mehr Fälle sexuellen Missbrauchs gebe, als es die offiziellen Zahlen ausweisen. Diese Situation ist den mangelnden Ressourcen der Behörden geschuldet sowie der Tatsache, dass die Kinder selbst die Gewalt nicht melden.
„Meldelücken in Bezug auf sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch von Flüchtlingskindern stellen eine große Herausforderung dar“, erklärte der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland. „Wir sind uns dessen bewusst, dass die Flüchtlingskrise die Behörden der Mitgliedsstaaten auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Dennoch ermutigen wir die Regierungen dazu, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten und eine wirksame Datenerhebung und kinderfreundliche Beratungsdienste einzurichten, die zu einer Verbesserung bei der Meldung von Straftaten und der Ermittlung von Opfern führen.“
Im Mittelpunkt des Berichts stehen Minderjährige unter 18 Jahren. Gemäß der Lanzarote-Konvention des Europarates muss das Opfer im Zweifelsfall als Kind betrachtet werden und die entsprechende Hilfe und den vorgesehenen Schutz erhalten, bis das Alter bestimmt wurde. Von allen untersuchten Ländern hält sich nur Ungarn nicht an diesen Grundsatz und behandelt die Betroffenen wie Erwachsene. Dadurch sind sie weitgehend ungeschützt, auch vor sexuellem Missbrauch. Dieser Punkt bereitet dem Lanzarote-Ausschuss sehr große Sorge. Er fordert Ungarn daher dringend auf, entsprechende gesetzliche und andere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung des Grundsatzes, im Zweifel zugunsten des Opfers zu entscheiden, zu garantieren.
Der Lanzarote-Ausschuss ersucht die Staaten, die familiären Verbindungen der Kinder zu den sie begleitenden Erwachsenen, bzw. falls diese nicht ihre Eltern oder enge Bezugspersonen sind, deren Identität zu überprüfen, um die Kinder vor sexueller Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch zu schützen, den diese Erwachsenen begehen oder erleichtern könnten.
Laut dem Lanzarote-Ausschuss sollten alle Vertragsstaaten dafür sorgen, dass alle Personen, seien es Fachkräfte oder Freiwillige, die mit von der Flüchtlingskrise betroffenen Kindern in Kontakt sind, sorgfältig ausgewählt werden und eine angemessene Schulung erhalten; sie sollten außerdem Kontrollmechanismen einführen.
Die zunehmende Zahl von durch die Flüchtlingskrise betroffenen Kindern führt außerdem dazu, dass die Einrichtungen zur Aufnahme und Unterbringung unter Druck geraten; die Kinder werden oft in Sporthallen, ehemaligen Kasernen oder anderen provisorischen Unterkünften untergebracht. Die unzureichende Beleuchtung und die Notwendigkeit, die sanitären Anlagen und Schlafsäle mit Erwachsenen zu teilen, setzt die Kinder insbesondere der Gefahr aus, Opfer von Sexualstraftaten und sexueller Belästigung zu werden. Darüber hinaus gibt die lange Dauer der Asylverfahren den Tätern die Möglichkeit, gezielt Kinder anzusprechen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Der Lanzarote-Ausschuss ruft die Vertragsstaaten dazu auf, für sichere Aufnahmeeinrichtungen zu sorgen und nach längerfristigen Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen, beispielsweise in Pflegefamilien.
Die Kinder sollten einen Vormund erhalten; deren Rolle ist entscheidend, um das notwendige Vertrauen aufzubauen und den Kindern zu helfen, ihre Ängste und kulturelle Tabus zu überwinden, und es ihnen so zu ermöglichen, sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch, denen sie möglicherweise zum Opfer gefallen sind, aufzudecken. Es sollten auch Telefon- und Online-Hilfsdienste eingerichtet werden und therapeutische Unterstützung bereitgestellt werden.
Der vollständige Text des Berichts wird im Laufe des 6. März 2017 hier veröffentlicht
Interview mit Claude Janizzi (Luxemburg), Vorsitzender des Lanzarote-Ausschusses (auf Englisch)
Kontakt:
Tatiana Baeva, Sprecherin/Pressereferentin, Tel.: +33 3 88 41 21 41 ; Tel.: +33 6 85 11 64 93
(*) Siehe die Antworten der Türkei, Belgiens, Dänemarks, Maltas und der „ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“