„In Europa hat der Schutz der Menschenrechte im Jahr 2022 schwere Rückschritte erlitten“, so die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, bei der Präsentation ihres Jahresberichts am 24. April. „Um die Tendenz umzukehren, ist ein erneutes Bekenntnis zu den Menschenrechten nötig.“ Der Bericht konzentriert sich überwiegend auf die von der Russischen Föderation im Zusammenhang mit ihrem Militärangriff auf die Ukraine begangenen Gräueltaten. „Die entsetzlichen Verbrechen, die von den russischen Streitkräften in der Ukraine begangen wurden, dürfen nicht ungestraft bleiben. Es muss Gerechtigkeit hergestellt werden, wozu insbesondere eine wirksame Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und die langfristige Unterstützung des ukrainischen Justizsystems erforderlich sind“, schreibt die Kommissarin. Dazu zähle auch das Vorgehen gegen die Verletzung der Menschenrechte von ukrainischen Kindern, die in die Russische Föderation oder vorläufig besetzte Gebiete überführt wurden und von denen einige unter eklatantem Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht die russische Staatsangehörigkeit erhalten haben.
Ebenso unterstreicht die Kommissarin, dass die Behandlung von Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migranten in Europa zeige, dass viele Mitgliedsstaaten diesbezüglich ihre internationalen Menschenrechtsverpflichtungen konsequent und vorsätzlich missachten. „Das Zurückdrängen an den Grenzen, die Weigerung, Boote in Seenot zu retten, unwürdige Bedingungen und unmenschliche Behandlung sind die gemeinsamen Merkmale für einen Umgang mit Migration, der auf unverhältnismäßige Weise sicherheitszentriert ist und Menschenleben gefährdet. Statt weiter in diese Sackgasse vorzudringen, sollten die Mitgliedsstaaten das Augenmerk darauf legen, sichere und legale Wege, humanitäre Hilfe entlang der Migrationsrouten sowie Such- und Rettungsdienste auf See anzubieten.“
Das Jahr 2022 sei auch durch ein allgemeines Klima der Intoleranz, Feindseligkeit und sogar Gewalt gegenüber LGBTI-Personen gekennzeichnet gewesen. Darüber hinaus betont Mijatović, dass sich der Raum für die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten und generell für Einzelpersonen zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten weiter verkleinert habe. Der Schutz und die Förderung der Frauenrechte und der Geschlechtergleichstellung sei ein weiterer Bereich, in dem Fortschritt nötig ist.
Die Menschenrechtskommissarin betonte bei der Präsentation ihres Berichts vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dass das europäische Menschenrechtsschutzsystem stark genug sei, um mit dieser negativen Tendenz umzugehen und sie umzukehren. „In vielen unserer Mitgliedsstaaten schwindet seit einigen Jahren das Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechtsnormen. Im Rahmen all meiner Länderbesuche und thematischen Arbeit treffe ich indes auf innerstaatliche Behörden, Nichtregierungsorganisationen, Journalistinnen und Journalisten, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, nationale Menschenrechtsinstitutionen und Ombudspersonen, die sich weiterhin für den Schutz und die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, bisweilen unter großen persönlichen Gefahren. Ich fordere die Behörden auf, sich erneut zu den Grundwerten unserer Organisation zu bekennen und für alle Menschen ein Umfeld zu schaffen, das für die Ausübung ihrer Rechte günstig ist.“