Der Generalsekretär des Europarates, Alain Berset, hat heute seinen dreitägigen Besuch in Georgien beendet. Auf einer Pressekonferenz in Tiflis gab er die folgende Erklärung ab, in deren Mittelpunkt die Grundfreiheiten, die Demokratie und die kürzlich verabschiedeten Gesetze standen (siehe auch das Video der Pressekonferenz).
„Sehr geehrte Medienvertreter, guten Tag!
Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme an der heutigen Pressekonferenz, die den Abschluss meines offiziellen Besuchs in Georgien bildet. Neben mir sitzen die Generaldirektorin für Demokratie und Menschenwürde des Europarates, Marja Ruotanen, und der Generaldirektor für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, Gianluca Esposito: Sie werden Ihnen alle technischen Fragen beantworten können.
Dies ist eine kritische Zeit für Georgien: Das Land ist von politischen Spannungen, einer polarisierten öffentlichen Debatte und einem hohen Maß an Gewalt geprägt. Ich bin in erster Linie hier, um Georgien und der georgischen Bevölkerung meine Unterstützung zu zeigen. Sie verdient es, in einem stabilen und demokratischen Land zu leben.
Wie Sie wissen, ist Georgien seit über 25 Jahren ein vollwertiges und geschätztes Mitglied des Europarates. Als Generalsekretär steht es mir nicht zu, Wahlen zu legitimieren. Dies fällt in die Befugnis der staatlichen Institutionen. Im Übrigen verweise ich Sie auf die Berichte der Wahlbeobachtungsmissionen.
Angesichts dessen, was in Georgien geschieht, wäre es für mich als Generalsekretär unverantwortlich, nicht hier zu sein. Nicht hier an der Seite eines unserer Mitgliedsstaaten zu sein – nicht an der Seite seiner Bevölkerung zu stehen. Das Hauptziel meines Besuchs ist es, alle daran zu erinnern, dass die derzeitige politische Krise nur gelöst werden kann, wenn wir uns an die Grundprinzipien der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit halten.
Ich möchte all jenen danken, die ich in dieser Woche getroffen habe. Ich habe mit allen, die sich bereit erklärt haben, mich zu treffen, freimütige, offene und konstruktive Gespräche geführt: mit der Zivilgesellschaft, dem Bürgerbeauftragten, der Regierung und den Oppositionsparteien sowie mit Vertretern der internationalen Gemeinschaft in Tiflis. Dies war eine der wichtigsten Voraussetzungen für meinen Besuch: alle zu treffen. Dialog ist der Eckpfeiler jeder funktionierenden Demokratie.
Im Vorfeld meines Besuchs habe ich die Freilassung von Nika Gwaramia und Aleko Elisaschwili begrüßt, unbeschadet der anhängigen Gerichtsverfahren. Zudem habe ich gestern Nachmittag Elisaschwili getroffen.
Lassen Sie mich heute auf drei wichtige Themen eingehen: erstens die Grundfreiheiten, zweitens die Demokratie und drittens die kürzlich verabschiedeten Gesetze.
Erstens, die Grundfreiheiten: Bei meinen Treffen mit den Behörden habe ich deutlich gemacht, dass die Grundfreiheiten – insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgelegt werden – uneingeschränkt geschützt werden müssen. Gewalt, egal von welcher Seite, ist nicht hinnehmbar, insbesondere nicht gegen Demonstrierende und Journalisten. Die Zahl der bei unserer Plattform zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten eingegangenen Warnmeldungen hat deutlich zugenommen und zeigt, dass es in einigen Fällen zu brutalen Angriffen auf Medienschaffende gekommen ist.
Ich fordere die georgischen Behörden auf, erstens von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung abzusehen, zweitens rasch unabhängige, transparente und wirksame Untersuchungen durchzuführen und sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und drittens alle Personen, die sich in Verwaltungshaft befinden, freizulassen. Ich begrüße die Zusicherungen, die ich in dieser Hinsicht erhalten habe.
Von 18. bis 29. November dieses Jahres hat das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) Georgien besucht. Dabei untersuchte die Delegation die Behandlung und die Schutzgarantien für Personen in Polizeigewahrsam, einschließlich jener, die während der laufenden Demonstrationen in Tiflis festgenommen wurden. Anfang nächster Woche wird das CPT den Behörden seine vorläufigen Ergebnisse mitteilen. Ich erwarte von der Regierung, dass sie so bald wie möglich darauf reagiert. Ein Folgebesuch des CPT wird möglicherweise in den kommenden Wochen stattfinden.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Demokratie: Polarisierung untergräbt die demokratische Debatte in Georgien. Alle politischen Kräfte, sowohl die Mehrheit als auch die Opposition, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, um diese festgefahrene Situation durch Dialog und Achtung der demokratischen Grundsätze zu überwinden. Demokratie kann in einem Klima des allgemeinen Misstrauens und der ständigen Konfrontation nicht funktionieren.
Der Europarat ist bereit, diesen politischen Dialog zu erleichtern, insbesondere durch vertrauensbildende Maßnahmen und parlamentarische Zusammenarbeit. Letztlich ist es jedoch Sache der georgischen Bevölkerung und der politischen Führung, ihren Teil dazu beizutragen, die Bedingungen für eine voll funktionsfähige Demokratie mit einer gesunden Debatte zwischen der politischen Mehrheit und den Minderheiten sowie der Zivilgesellschaft zu schaffen.
Als dritten und letzten Punkt möchte ich die kürzlich verabschiedeten Gesetze ansprechen. Ich habe meine Besorgnis über Rechtsvorschriften zum Ausdruck gebracht, die die Rechte der Zivilgesellschaft und des Einzelnen einschränken. Solche Gesetze müssen geändert werden, um den europäischen Normen zu entsprechen, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgelegt sind und von der Venedig-Kommission in Erinnerung gerufen wurden.
Ich begrüße die Zusicherung der Regierung, die Rechtsvorschriften über ‚ausländische Einflussnahme‘ zu ändern. Wir werden nun eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus Georgien und dem Europarat, insbesondere der Venedig-Kommission, einrichten, um die Änderungen zu ermitteln, die an dieser Gesetzgebung vorgenommen werden sollen.
Ich habe die Hoffnung geäußert, dass ähnliche Kooperationsprozesse in anderen Bereichen wie Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Zivilgesellschaft, Wahl- und Justizreformen sowie Strafvollzug und Bewährungshilfe eingeleitet werden könnten. Ebenso bin ich besorgt über die Unvereinbarkeit des Gesetzespakets zum ‚Schutz von Familienwerten und Minderjährigen‘ mit unseren Normen und der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs.
In dieser Hinsicht verfügt der Europarat über ein sehr wirksames Instrument: unseren Aktionsplan 2024–2027 für Georgien, der vom Europarat und den georgischen Behörden ausgearbeitet und vom Ministerkomitee im vergangenen Oktober angenommen wurde. Dieser Plan ist ein Schlüsselinstrument zur Unterstützung der Reformen und europäischen Bestrebungen Georgiens.
Wir werden weiterhin mit der georgischen Bevölkerung und den georgischen Behörden, der Zivilgesellschaft sowie unseren nationalen und internationalen Partnern zusammenarbeiten, um diesen Plan an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen. Ich rufe unsere Geldgeber auf, ihre Unterstützung für diese Arbeit zu verstärken und nicht zu verringern.
Sehr geehrte Medienvertreter, lassen Sie mich zusammenfassen, was als Nächstes geplant ist.
Zunächst werde ich nach meiner Rückkehr nach Straßburg alle unsere Mitgliedsstaaten sowie unsere EU- und anderen Partner über die Ergebnisse dieses Besuchs informieren. Ich werde auch unserem Menschenrechtskommissar, der demnächst einen Besuch in Georgien plant, Informationen zukommen lassen. Und schließlich werde ich die Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung, die Georgien im Januar besuchen wollen, sowie unseren Kongress der Gemeinden und Regionen informieren.
Zweitens: Anfang nächster Woche werden den Behörden die vorläufigen Ergebnisse des CPT mitgeteilt. Aufgrund dieser vorläufigen Ergebnisse müssen die Behörden so schnell wie möglich Maßnahmen ergreifen. Ein Folgebesuch des CPT wird möglicherweise in den kommenden Wochen stattfinden.
Drittens werden wir eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit georgischen Partnern einrichten, um das Gesetz über ‚ausländische Einflussnahme‘ zu ändern.
Viertens werden wir unseren Aktionsplan so anpassen, dass er sich auf die wichtigsten Schwerpunktbereiche konzentriert, insbesondere Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Zivilgesellschaft, Wahl- und Justizreformen sowie Strafvollzug und Bewährung.
Sehr geehrte Medienvertreter!
Ich habe die letzten drei Tage in Georgien, in Tiflis, verbracht. Ich hatte die Gelegenheit, mit allen, die sich zu einem Treffen bereit erklärt hatten, in einem konstruktiven Umfeld und ohne jegliche Behinderung zusammenzutreffen. Ich möchte jenen danken, die an der Organisation meines Besuchs beteiligt waren.
Georgiens Platz ist und bleibt in Europa. Georgien ist Mitglied des Europarates. Wir werden das Land auch weiterhin auf seinem demokratischen und europäischen Weg begleiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Für all ihre Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.“
Video der Pressekonferenz auf Englisch