In seiner letzten Rede vor der Parlamentarischen Versammlung im Rahmen einer Wintersitzung äußerte der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, seine Zufriedenheit darüber, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nunmehr auf stabilerem Fundament stehe als zum Zeitpunkt seines Amtsantritts 2009. Zu jenem Zeitpunkt stand die Glaubwürdigkeit des Konventionssystems aufgrund eines Rückstands von 160 000 Beschwerden infrage. Bis zum Ende des letzten Jahres war diese Zahl auf 56 000 gesunken. Diese Entwicklung ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass Ressourcen auf eine untere Ebene verlagert wurden, um die Gesetze der Mitgliedsstaaten in Einklang mit der Konvention zu bringen und um Richterinnen und Richter sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu schulen. Jagland verlieh seiner Sorge über die Lage in der Türkei Ausdruck, wo seiner Ansicht nach die Rolle der Justiz und somit das Konventionssystem des Europarates auf dem Prüfstand stehen. Er warnte, dass Hunderte oder gar Tausende türkische Fälle vor den Straßburger Gerichtshof gebracht werden könnten, falls der Gerechtigkeit nicht fristgerecht Genüge getan wird.
Der Generalsekretär hob den auf einigen Gebieten erzielten Fortschritt hervor, etwa im Bereich der Migration, des Menschenhandels, des Datenschutzes, der Internet-Governance, des Kampfes gegen Terrorismus und Extremismus sowie des Schutzes von Kindern vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch. Gleichzeitig verwies er auf neue menschenrechtliche Problemfelder, insbesondere im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und Zwangsarbeit, die häufig auch als moderne Sklaverei bezeichnet wird.
Im Hinblick darauf, dass Russland derzeit seine Beiträge zum Haushalt nicht bezahlt, bemerkte Jagland, dass die Entscheidung der Versammlung, der russischen Delegation das Stimmrecht zu entziehen, nicht dazu geführt habe, dass die Krim wieder zur Ukraine gehört oder dass sich die Menschenrechtslage in Russland verbessert. Stattdessen habe sie eine Krise innerhalb des Europarates verursacht. Er forderte die Versammlung und das Ministerkomitee dringend dazu auf, gemeinsam und konkret daran zu arbeiten, die Zuständigkeitsregeln und die Kompetenzverteilung zwischen den beiden Organen zu klären und dabei den Grundsatz der Gleichheit von Rechten und Pflichten zu berücksichtigen, um so die Autorität des Europarates zu stärken. Jagland bezog sich auf ein Schreiben, das ihm 59 führende Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten aus Russland gesandt haben und in dem die Unterzeichnenden eine Kompromisslösung fordern, um zu verhindern, dass das Land den Europarat verlässt. In dem Brief wird gewarnt, dass die Hauptleidtragenden einer solchen Entwicklung die Menschen in Russland wären, da sie dadurch nicht mehr durch das Konventionssystem geschützt wären. Abschließend erklärte der Generalsekretär, dass eine Kompromisslösung der Russlandkrise im 70. Jahr seit der Gründung des Europarates ein großartiges Geschenk für Europa wäre.