In den letzten zwei Jahren – von Mitte 2022 bis Mitte 2024 – waren trotz einiger positiver Entwicklungen und bewährter Verfahren sehr besorgniserregende Entwicklungen in Bezug auf die Vielfalt und die Rechte von Minderheiten in Europa zu beobachten, so der Beratende Ausschuss des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten in seinem jüngsten Tätigkeitsbericht. Zu diesen Entwicklungen gehören die zunehmende Instrumentalisierung der Minderheitenpolitik für politische Zwecke, die Wahrnehmung nationaler Minderheiten als Sicherheitsbedrohung, die Gefahr des Verlusts des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch die Ernennung von Sündenböcken und die Ausgrenzung von Einzelpersonen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit sowie Probleme im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Ungleichheit, von der Angehörige nationaler Minderheiten unverhältnismäßig stark betroffen sind.
Zu den positiven Entwicklungen zählt der Beratende Ausschuss des Europarates die verbesserte Erhebung von Daten über multiple ethnische und sprachliche Zugehörigkeiten, einen flexibleren Ansatz für den Anwendungsbereich des Übereinkommens, der es Einzelpersonen ermöglicht, Rechte zu genießen, die in ihrer Situation besonders wichtig sind, sowie die Stärkung der Rahmenbedingungen der Bekämpfung von Diskriminierung und der Mechanismen zur Rückgabe von Eigentum. Der Ausschuss stellt außerdem fest, dass viele Fragen im Zusammenhang mit religiösen Minderheiten geklärt wurden und dass die starke Entwicklung digitaler Massenmedien den Zugang zu Sendungen für Minderheiten erleichtert hat. Fortschritte wurden auch bei der Verwendung von Minderheitensprachen in der Verwaltung und im Bildungswesen sowie bei der effektiven Beteiligung von Angehörigen nationaler Minderheiten in allen Lebensbereichen verzeichnet.
Gleichzeitig zeigen die Sachverständigen des Europarates jedoch sehr besorgniserregende Tendenzen zuungunsten der Rechte von Minderheiten auf. Die Wahrnehmung als Sicherheitsproblem und die unverhältnismäßigen Auswirkungen echter und legitimer Sicherheitsbedenken auf den Zugang zu Minderheitenrechten und auf die Einstellung gegenüber Angehörigen nationaler Minderheiten stellen ernsthafte Probleme dar. Der Ausdruck von Minderheitszugehörigkeiten durch Einzelpersonen wird in vielen Kontexten als Zeichen der Illoyalität gegenüber dem Staat betrachtet und nationale Minderheiten werden als Bedrohung der Sicherheit und als destabilisierende Elemente gesehen, nicht als fester Bestandteil vielfältiger europäischer Gesellschaften.
Eine weitere negative Tendenz ist die Abkehr vom Multilateralismus und die Rückkehr zu einer verstärkten Bilateralisierung und die damit einhergehende Politisierung und Instrumentalisierung der Minderheitenrechte. Dies macht es für Angehörige nationaler Minderheiten sehr schwierig, sich frei zu identifizieren, auszudrücken und ihre Identität zu entwickeln. In diesem Kontext ist es ihnen kaum möglich, mittels etablierter Mechanismen effektiv an allen Aspekten des Lebens teilzunehmen. Die Rechtlosigkeit und der Ausschluss von Menschen aufgrund ihrer ethnischen, sprachlichen und/oder religiösen Zugehörigkeit führten unweigerlich zur Marginalisierung und letztlich zum Zerfall der Gesellschaft, so die Warnung des Ausschusses.
Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten ist der umfassendste Vertrag in Europa, der die Rechte von Menschen schützt, die nationalen Minderheiten angehören. Der Vertrag trat am 1. Februar 1998 in Kraft und gilt mittlerweile in 39 Staaten.