Die Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) begrüßt in ihrem ersten Grundlagen-Evaluierungsbericht über Deutschland die strafrechtlichen Maßnahmen, die vor und nach der Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch Deutschland im Jahr 2018 ergriffen wurden, weist aber auch auf dringende Schritte hin, die Deutschland unternehmen sollte, um Frauen und Mädchen besser vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Auf der Grundlage eines detaillierten Fragebogens und eines Evaluierungsbesuchs im vergangenen Jahr, in dessen Rahmen Treffen mit den zuständigen Beamtinnen und Beamten der Bundes- und Landesregierungen, Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Vertreterinnen und Vertretern von mehr als 40 Nichtregierungsorganisationen stattfanden, deckt der GREVIO-Bericht, der zusammen mit der Stellungnahme der deutschen Regierung veröffentlicht wurde, den Zeitraum bis September 2021 ab (siehe auch die Zusammenfassung des Berichts).
Als positive Entwicklung hebt die GREVIO die Einführung eines Straftatbestandes der Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt, der auf der fehlenden Zustimmung des Opfers basiert, sowie den erfolgreichen Betrieb des bundesweiten Hilfetelefons hervor. Die Expertengruppe begrüßt die ausdrückliche Kriminalisierung von technologiegestütztem Missbrauch (wie Cyberstalking, unerlaubtes Fotografieren intimer Körperteile, Teilen von Bildern im Internet und Verwendung von Stalker-Software), die „in den letzten Jahren zu einem soliden Rechtsrahmen für die digitale Dimension der Gewalt gegen Frauen beigetragen hat“.
Es müssen jedoch noch gravierende Defizite behoben werden, die von einer unzureichenden Risikoabschätzung der Situation gewaltbetroffener Frauen über den Verbesserungsbedarf bei der Anwendung von Schutzanordnungen und Eilschutzmaßnahmen bis hin zu fehlenden Unterstützungsdiensten und Frauenhäusern reichen. Ein übergreifendes Problem ist das Fehlen eines nationalen Aktionsplans oder einer Koordinierung auf nationaler Ebene, wie in der Istanbul-Konvention gefordert. Während einige Pläne zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen auf Landesebene mit Beispielen gewürdigt werden, ist die GREVIO besorgt über die „Ungleichheit“ der Verfügbarkeit von Fachberatungsstellen, die sowohl zwischen den 16 Bundesländern als auch innerhalb einzelner Bundesländer „erheblich“ variiert.
Diese Ungleichheit spiegelt sich beispielsweise darin wider, dass es keine Notfallzentren für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen und zu wenige Frauenhäuser gibt. Die geografische Verteilung und die Verfügbarkeit von Fachberatungsstellen sind unterschiedlich. In ländlichen Gebieten sind spezialisierte Unterstützungsdienste viel weniger etabliert oder konzentrieren sich hauptsächlich auf häusliche Gewalt, sodass Opfer anderer Formen von Gewalt ohne angemessene Unterstützung bleiben. In größeren Städten gibt es zwar grundsätzlich Beratungsangebote für die meisten oder alle Formen von Gewalt, aber das Zahlenverhältnis zwischen Mitarbeitenden und gewaltbetroffenen Frauen führt oft zu langen Wartelisten. In Berlin beispielsweise, einer Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern, gibt es nur eine Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer mit weniger als neun Mitarbeitenden und einer durchschnittlichen Wartezeit von zwei Monaten für eine Erstberatung.
Auf der Grundlage dieses Berichts wird der Ausschuss der Vertragsparteien, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsstaaten der Konvention zusammensetzt, im Dezember dieses Jahres seine Empfehlungen an die deutsche Regierung veröffentlichen.