Die Normen des Europarates sind in der Ukraine weiterhin gültig, so Generalsekretär Thorbjørn Jagland als Reaktion auf die Ankündigung der Ukraine, dass das Land von der Europäischen Menschenrechtskonvention gemäß Artikel 15 abweichen werde.
„Gestern wurde ich vom ukrainischen Außenminister, Pawlo Klimkin, unterrichtet, dass angesichts der im Land herrschenden Notfallsituation die Behörden der Ukraine entschieden haben, unter Berufung auf Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention von bestimmten in der Konvention verankerten Rechten abzuweichen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt in der Ukraine weiterhin, und der Europäische Menschenrechtsgerichtshof wird ungeachtet dieser Entscheidung die Beschwerden untersuchen, welche die Ukraine betreffen. Auch für die Projekttätigkeit des Europaratsbüros in Kiew wird es keine Änderungen geben.
Im Angesicht der sich verschlechternden Sicherheitslage in der Ostukraine rufe ich alle Seiten auf, unverzüglich die Gewalt und das Blutvergießen, die mit dem Verlust von Menschenleben einhergehen, zu beenden und alles zu tun, um das Minsker Abkommen auf dem schnellsten Wege vollständig umzusetzen. Eine weitere Eskalation des Konflikts hätte unannehmbare Folgen für die Sicherheit, die Stabilität und die Menschenrechte in der Ukraine und im gesamten Europa“, erklärte Jagland.
Die ukrainischen Behörden haben die Gründe ihrer Entscheidung in einer an alle Mitgliedsstaaten des Europarates gerichteten Mitteilung dargelegt. Sie gaben an, dass die Abweichung nur für die von der „Antiterror-Operation“ betroffenen Gebiete gelte. Die Behörden werden den Generalsekretär über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe sowie über Änderungen ihrer geografischen Gültigkeit vollständig auf dem Laufenden halten.
Die Abweichung im Notstands- und Kriegsfall sowie unter anderen Umständen, die das Leben der Nation bedrohen, ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehen, und in der Vergangenheit haben schon andere Vertragsparteien darauf zurückgegriffen. Diese in Artikel 15 verankerte Abweichung bedeutet nicht, dass die Ukraine nicht mehr durch die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden ist, dass sie kein Mitgliedsstaat des Europarates mehr ist oder dass die Zusammenarbeit des Landes mit der Organisation unterbrochen ist.
Hinweis an Journalisten
ARTIKEL 15 der Europäischen Menschenrechtekonvention
Abweichen im Notstandsfall
- Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.
- Aufgrund des Absatzes 1 darf von Artikel 2 nur bei Todesfällen infolge rechtmäßiger Kriegshandlungen und von Artikel 3, Artikel 4 (Absatz 1) und Artikel 7 in keinem Fall abgewichen werden.
- Jede Hohe Vertragspartei, die dieses Recht auf Abweichung ausübt, unterrichtet den Generalsekretär des Europarats umfassend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe. Sie unterrichtet den Generalsekretär des Europarats auch über den Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen außer Kraft getreten sind und die Konvention wieder volle Anwendung findet.