Es gilt das gesprochene Wort
„Europäische Architektur”: Rede des polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski anlässlich der Eröffnung der Dritten Sitzung des Gipfeltreffens des Europarates
(Warschau, 17. Mai 2005)
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Ich eröffne hiermit die dritte und letzte Sitzung des Warschauer Gipfeltreffens des Europarates.
Wir wollen uns heute mit einer Art der Zusammenarbeit beschäftigen, die eine Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Zeit geben wird. Die Fragen, die wir uns stellen müssen sind: Welche Rolle kommt dem Europarat unter den neuen Bedingungen zu? Wie soll die weitere Zusammenarbeit mit unseren wichtigsten Partnern, der OSZE und der Europäischen Union, aussehen?
Diese drei wichtigen Organisationen sind die Säulen, auf denen die internationale Ordnung unseres Kontinentes steht. Die beständige Stabilität der europäischen Architektur hängt hauptsächlich von diesen klar umrissenen, engen Beziehungen zwischen ihnen ab. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir mehr erreichen. Daher vertrauen wir auch darauf, dass die harmonische Zusammenarbeit zwischen dem Europarat, der Europäischen Union und der OSZE sich als noch effizienter herausstellen wird, als die Arbeit jeder Organisation für sich genommen, auch wenn alle Einzelbemühungen zusammengezählt werden würden. Es ist besonders wichtig, einheitlich und zielgerichtet zu handeln, um eine Überschneidung unserer Initiativen vermeiden.
Das heutige Europa ähnelt einer Großbaustelle. Das Fundament, das sich noch im Bauzustand befindet, lässt uns hoffen, dass es stabil und bewundernswert sein wird. Wir haben aber noch viel Arbeit vor uns. Wir wollen ein solides Gebäude, das die Hoffnungen der Nationen nicht enttäuschen wird und gleichzeitig die Welt durch die Herrlichkeit der von uns angedachte Zivilisationsvision in Erstaunen versetzen wird. Die Geschichte des Turmbaus zu Babel, die Teil unseres kulturellen Erbes ist, erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dass sich die Architekten absprechen, dass sie ein Fundament schaffen, welches nach ein und demselben Entwurf konstruiert wird; ebenso wichtig ist es, dass sie ihre jeweiligen Baupläne koordinieren und jeder sich für das gesamte Projekt verantwortlich fühlt. Wir alle brauchen einander.
Natürlich hat jede der drei großen europäischen Organisationen ihre eigene, einzigartige und von den anderen Organisationen unabhängige Aufgabe zu erfüllen. Die Arbeit für eine erfolgreiche, glückliche Zukunft und ein besseres Leben für die Bewohner unseres Kontinents ist jedoch das Zement, das uns alle zusammenhält.
Dieser Gipfel zeigt, dass unsere gemeinsamen europäischen Werte die Wurzeln des Erfolges der Demokratie, der Zivilgesellschaft und der freien Markwirtschaft sind. Jeder von uns ist überzeugt davon, dass die Aufgabe des Europarates nicht überschätzt werden kann. Wir wollen auch die herausragende Rolle der OSZE anerkennen, die die Sicherheit, das Vertrauen und die Offenheit festigt und danach strebt, Konflikten vorzubeugen und bereits bestehende Konflikte zu lösen. Ebenso haben wir großen Respekt vor den Leistungen und dem Potential der Europäischen Union, die auf große historische Erfolge in Bezug auf politische Integration und wirtschaftliche Zusammenarbeit zurückblicken kann und der wichtige Instrumente zum Schutz der Ordnung und der Gerechtigkeit zur Verfügung stehen. Dies alles sind unsere Vorteile für die Schaffung eines schönen neuen Europas.
Meine Damen und Herren,
Vor Beginn dieser Sitzung haben Herr Minister Adam Daniel Rotfeld, Vorsitzender im Ministerkomitee des Europarates, und Herr Minister Dimitrij Rupel, amtierender Vorsitzender der OSZE, eine gemeinsame Erklärung gezeichnet. Diese Erklärung soll die Maßnahmen zur Zusammenarbeit beider Organisationen noch einmal bestätigen. Polen, das den Vorsitz des Europarates führt, legt alle Vorschläge, die in der Politischen Erklärung und dem Aktionsplan enthalten sind vor, und empfiehlt deren Annahme.
Alle Prozesse zur europäischen Integration werden durch die Arbeit der Europäischen Union unterstützt und oft nur durch sie ermöglicht, denn die EU verfügt über wirkungsvolle Instrumente zum Schutz von Recht, Justiz und zur Vertiefung des Integrationsprozesses in Europa. Polen, das derzeit den Vorsitz im Europarat hat, erwartet, dass die verabschiedeten Leitlinien zur Vorbereitung des Memorandum of Understanding zwischen dem Europarat und der Europäischen Union unter den kommenden Vorsitzen des Europarates umgesetzt werden.
Als Vorsitzender möchte ich mich nun an unseren Kollegen Jean Claude Juncker richten. Er hat von uns allen die längste Amtszeit als Premierminister vorzuweisen, und ist außerdem Regierungschef Luxemburgs, des Gründerstaates sowohl des Europarates als auch der Europäischen Union. Ich möchte Herrn Premierminister Juncker bitten, persönlich einen speziellen politischen Bericht auszuarbeiten, der die Zusammenarbeit beider Organisationen beim Memorandum of Understanding beschleunigen könnte. Was den Europarat betrifft, so werden sich die kommenden Vorsitze weiterhin um die Vorbereitung des Memorandums kümmern.
Wenn unser Vorschlag von den Teilnehmern des Gipfeltreffens, und vor allem von unserem Kollegen Jean Claude Juncker, angenommen werden sollte, möchte ich vorschlagen, unsere Politische Erklärung entsprechend zu ergänzen. Absatz 10 scheint am besten geeignet zu sein, um unsere Entscheidung einzufügen. Ich bitte nun das Sekretariat, den polnischen Vorschlag auf den Bildschirm zu projizieren.
Ich möchte Sie alle dazu einladen, gemeinsam über die europäische Architektur nachzudenken und zu diskutieren. Es ist die europäische Architektur, die unsere Träume, Erwartungen und Ziele wahr werden lassen wird. Dieses Europa ist möglich, heute mehr, als je zuvor. Wir sind alle für das Gelingen dieses Europas verantwortlich- wir werden alle an seinem Gelingen beteiligt sein.1
1 Vorschlag des polnischen Vorsitzes
Der zu ergänzende Satz in der Warschauer Erklärung:
10. Wir werden gewährleisten, dass sich der Europarat und die anderen Organisationen, die an der Schaffung eines demokratischen und sicheren Europas beteiligt sind, bestmöglich ergänzen:
- Wir werden einen neuen Rahmen für eine stärkere Zusammenarbeit und einen besseren Austausch zwischen dem Europarat und der Europäischen Union schaffen, vor allem in den Bereichen, in denen beide Organisationen gleichermaßen aktiv sind, vor allem beim Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.
Wir beauftragen unseren Kollegen, Jean-Claude Juncker, persönlich, auf Grundlage der auf dem Gipfel getroffenen Entscheidungen und unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension beim Aufbauwerk Europa, einen Bericht über die Beziehungen zwischen dem Europarat und der Europäischen Union zu verfassen.