Kummer gegen Tschechische Republik  | 2014

Stärkerer Schutz für Häftlinge nach polizeilicher Misshandlung eines Zahntechnikers

Das Fesseln und Überdehnen müssen dem Beschwerdeführer erhebliche Schmerzen verursacht haben.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 25. Juli 2013 - © Foto Blesk

Hintergrund

Vladimir Kummer war Zahntechniker. Eines Nachts im Mai 2010 ging er von einer Bar nach Hause, als er von der Polizei angehalten wurde, mutmaßlich weil er auf der Straße uriniert hatte. Die Polizeibeamten fragten nach Herrn Kummers Personalausweis, den er ihnen bereit war zu geben, wenn sie ihn zu seiner Wohnung begleiten würden, die keine 50 Meter entfernt lag.

Stattdessen wurde Herr Kummer mit zur Polizeiwache genommen. Er behauptete, man habe ihn in eine Zelle gesperrt, gefesselt und in den Rücken und ins Gesicht geschlagen. Er wurde dann mit ausgestreckten Armen, die jeweils an unterschiedlichen Wänden befestigt worden waren, hängen gelassen. Nach 30 Minuten in dieser schmerzhaften Position entließ man ihn. In Folge seiner Verletzungen konnte Herr Kummer 16 Tage lang nicht arbeiten.

Ein Strafverfahren kam zu dem Schluss, dass die involvierten Polizeibeamten nichts falsch gemacht hatten. Ein späterer Bericht der Ombudsperson stellte fest, dass ein Polizeibeamter ein disziplinarisches Vergehen begangen hatte, aber es gab keine Erkenntnisse, dass Herr Kummer physisch misshandelt worden war.

Urteil des EGMR

Anhand der ihm vorgelegten Beweise konnte der Straßburger Gerichtshof nicht feststellen, ob Herr Kummer geschlagen worden war. Der Gerichtshof kam aber aufgrund der nicht erforderlichen Weise, wie er an seinen Armen in der Zelle aufgehängt worden war, zu dem Schluss, er sei einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt worden.

Der Gerichtshof stellte des Weiteren fest, die Ermittlungen in Zusammenhang mit diesem Zwischenfall seien unnötig verzögert worden und nicht ausreichend unabhängig gewesen. Im vorliegenden Fall sei auch das Recht von Herrn Kummer auf wirksame Ermittlungen verletzt worden.

Nachbereitung

In Folge dieses Falles und weiterer Fälle wurde eine Reihe von Reformen durchgeführt, um wirksame Ermittlungen bei mutmaßlichen Fällen von Misshandlungen durch die Polizei sicherzustellen.

2012 wurde die unabhängige Generalinspektion der Sicherheitskräfte (GISF) eingerichtet, um Straftaten zu untersuchen, die mutmaßlich von Polizeibeamten begangen wurden.

2013 änderte das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik seine Rechtsprechung. Die Gerichte müssen nun detaillierter klären, ob Anschuldigungen wirksam untersucht wurden.

Das Urteil des Straßburger Gerichtshofs im Fall von Herrn Kummer wurde ins Tschechische übersetzt und an die Leiter der relevanten öffentlichen Institutionen geschickt. Dies und weitere internationale Menschenrechtsstandards im Hinblick auf die Behandlung von Häftlingen wurden in die Ausbildung der Polizeikräfte übernommen. Der Polizeipräsident ordnete eine Inspektion aller Gewahrsamszellen der Polizei in der Tschechischen Republik an, um sicherzustellen, dass es in ihnen keine Eisenringe an den Wänden gibt.

2015 änderte der Polizeipräsident eine verbindliche Anweisung für Polizeikräfte, um vorzugeben, dass das Fixieren einer Person an einen unbeweglichen Gegenstand nur zulässig ist, um ein gefährliches Verhalten zu unterbinden. Der Einsatz dieser Restriktionen in Zellen ist nur in Ausnahmefällen zulässig.

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