Broniowski gegen Polen 2004

Zehntausende Menschen aufgrund von Eigentumsansprüchen aus dem Zweiten Weltkrieg entschädigt

Dieses Urteil ist ein sehr großer Sieg. Es ist eine große Freude für mich und alle Anwohner des Flusses Bug.

Jerzy Broniowski, zitiert in Rzeczpospolita (auf Polnisch) - Foto: Wikimedia Commons
 

Hintergrund

Jerzy Broniowski hatte keine Erinnerung an das Haus seiner Großmutter im heutigen Lwiw, Ukraine. Er war noch ein kleines Kind, als sie gezwungen wurde, von dort wegzugehen.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Polens Ostgrenze entlang des Flusses Bug festgelegt. Die – einst polnischen – östlichen Gebiete wurden Teil der Sowjetunion. Über eine Million Menschen wurde in den Westen geschickt und gezwungen, ihre Häuser zu verlassen.

Polen erklärte sich später bereit, jene Personen zu entschädigen, die ihr Eigentum verloren hatten. Die meisten Forderungen wurden unmittelbar nach dem Krieg beglichen.

Broniowski erbte 1989 den Eigentumsanspruch seiner Großmutter von seiner verstorbenen Mutter. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Staat seine Familie mit Land entschädigt. Allerdings stellte sich später heraus, dass das Land nur einen Bruchteil von dem wert war, was man ihnen schuldig war. Als Broniowski den Rest forderte, wurde ihm mitgeteilt, dass eine Landknappheit bestehe.

Andere sogenannte „Anspruchsberechtigte vom Fluss Bug“ begannen bald, eine Reihe von Gesetzen anzufechten, die erlassen wurden, um Polens Übergang vom Kommunismus zur Demokratie zu erleichtern, und die ihre Möglichkeiten einschränkten, Staatseigentum als Entschädigung zu erhalten.

Im Jahr 2002 urteilte Polens höchstes Gericht, dass diese Einschränkungen gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Eigentumsrechte der Kläger verstoßen.

Während das Gesetz geändert wurde, um es den Anspruchsberechtigen vom Fluss Bug zu ermöglichen, ein Gebot für Staatseigentum abzugeben, verhinderten die verantwortlichen Behörden die Durchführung fast aller Auktionen.

Broniowskis eigene Hoffnungen wurden zerschlagen, als im Dezember 2003 ein neues Gesetz Polens Verpflichtungen gegenüber jenen aufhob, die bereits Land als Entschädigung bekommen hatten.

Es gab schätzungsweise rund 80.000 Anspruchsberechtigte vom Fluss Bug.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass Polen gegen Broniowskis Recht auf Eigentum verstoßen hat.

Der Verstoß war laut dem Gerichtshof einem systemischen Problem geschuldet. Das polnische Gesetz und die Verwaltungspraxis seien gescheitert, mit Auswirkungen auf viele Menschen.

Der Gerichtshof urteilte daher, dass Polen Maßnahmen ergreifen sollte, um sicherzustellen, dass die Anspruchsberechtigten vom Fluss Bug angemessen entschädigt werden.

Dies war das erste Mal, dass der Europäische Gerichtshof eine Methode anwendete, die später als „Piloturteil“-Verfahren zum Umgang mit weitverbreiteten oder systemischen Problemen bekannt wurde.

…durch die Einführung schrittweiser Einschränkungen in Bezug auf die Ausübung von [Broniowskis] Recht auf Anrechnung seiner Ansprüche, und die Anwendung der Methoden, durch die es in der Praxis nicht durchsetzbar und nicht anwendbar war, machten die Behörden es zu einem illusorischen Recht und zerstörten seinen Wesenskern.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Juni 2004

Folgemaßnahmen

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in seinem Fall einigten sich Broniowski und die polnische Regierung auf einen Pauschalbetrag in Höhe von € 60.000 als Entschädigung für das verlorene Eigentum seiner Großmutter.

Im Jahr 2004 erklärte Polens höchstes Gericht bestimmte Teile des Gesetzes vom Dezember 2003 für verfassungswidrig, darunter den Abschnitt, in dem die Verpflichtungen des Staates gegenüber Personen wie Broniowski aufgehoben wurden, die bereits eine gewisse Entschädigung erhalten hatten.

Im darauffolgenden Jahr erließ Polen ein neues Gesetz, welches es den Anspruchsberechtigten vom Fluss Bug ermöglichte, zwischen der Teilnahme an einer Versteigerung von Land oder dem Erhalt einer Barzahlung über einen Sonderfonds zu wählen.

Diese Veränderungen führten dazu, dass der Europäische Gerichtshof sein Piloturteilverfahren im Oktober 2008 zu einem erfolgreichen Abschluss brachte. Der Gerichtshof schloss über hundert anhängige Fälle zum Fluss Bug ab.

Ende Juli 2009 hatte Polen 19.444 Entschädigungszahlungen an Anspruchsberechtigte vom Fluss Bug geleistet, die sich auf € 206.500.000 belaufen. Zusätzlich nahmen zwischen 2004 und 2006 Anspruchsberechtigte 1.635 Auktionskäufe im Wert von € 1.600.000 vor.

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